Kaum ein anderes Motiv ist momentan so verbreitet wie die stark vergrößerte Darstellung des Coronavirus. Die hier abgebildete Illustration ist eine der bekanntesten ihrer Art. Die Washington Post, New York Times, Spiegel, ZDF, WDR und viele andere nutzten sie bereits als Symbol für ihre Artikel und Hintergrundberichte. Doch wie genau stimmen diese und andere Illustrationen tatsächlich mit der Struktur des Coronavirus überein?

Quelle: CDC/ Alissa Eckert, MS; Dan Higgins, MAMS (Public Domain)

Erstellt haben die Grafik Alissa Eckert und Dan Higgins von den Centers for Disease Control and Prevention. Die Gesundheitsbehörde ist so etwas wie das US-amerikanische Pendant des deutschen Robert-Koch-Instituts. Zu seinen Aufgaben zählt unter anderem der Schutz vor Infektionskrankheiten.

Wie das Bild entstand, war vor einiger Zeit in der New York Times nachzulesen. Der Beitrag liefert einen interessanten Einblick in die Arbeit von Illustratoren in der Wissenschaft.

Man erfährt unter anderem, dass Eckert und Higgins das Virus mit der gleichen 3D-Modellierungssoftware in Szene setzten, wie sie auch zur Schaffung von Monstern und fantastischen virtuellen Welten in Computerspielen und Filmen zum Einsatz kommt. Dabei ist natürlich zunächst offen:

Was ist wissenschaftlich belegt, was frei erfunden?

Über diese Frage habe ich mit der Chemikerin Birgit Strodel gesprochen. Sie leitet als Professorin die Computational Biochemistry Group am Institut für Biologische Informationsprozesse (IBI-7) des Forschungszentrums Jülich, und hat sich darauf spezialisiert, mithilfe von Simulationen auf Computern und Supercomputern die Struktur und Funktion von Proteinen und Enzymen zu erforschen.

Sonst liegt ihr Fokus auf Molekülen, die mit der Entwicklung der Alzheimer’schen Demenz in Verbindung stehen. Doch seit Februar beschäftigt sich Prof. Dr. Birgit Strodel auch mit der Bekämpfung von Covid-19. Sie leitet ein Projekt, in dem es um das virtuelle Screening von Millionen potenzieller Wirkstoffe zur Inhibierung wichtiger Enzyme von SARS-CoV-2 geht. Quelle: HHU Düsseldorf / Hanne Horn

„Fest steht: Es gibt keine wissenschaftliche Methode, die in der Lage wäre, die äußere Gestalt des Virus in dieser Auflösung direkt abzubilden“, sagt Birgit Strodel. Viele Details sind schon aufgrund des vergrößerten Maßstabs frei gewählt.

Ein Beispiel sind die scharfen Schatten. Sie sind so nur in der makroskopischen Welt zu sehen. Ein einzelnes Virusteilchen kommt jedoch gerade einmal auf einen Durchmesser von etwa 100 Nanometern. Das ist noch unterhalb der Wellenlänge des sichtbaren Lichts, die zwischen 380 und 750 Nanometern liegt – das Virus wäre daher auch bei extremer Vergrößerung für das bloße Auge unsichtbar. Denn Licht wird in diesen Dimensionen eher als Welle gebeugt – und breitet sich nicht mehr geradlinig als Lichtstrahl aus.

Auch das knallige rot der weit abstehenden Spike-Proteine entspringt künstlerischer Freiheit. „Proteine sind in der Regel farblos oder weiß, wenn man sie zu einem Kristall heranzüchtet oder anderweitig in den festen Zustand überführt. Man kennt das vom Eiweiß“, erklärt Birgit Strodel.

Anders verhält es sich mit der Struktur des Virus. Die Illustratoren griffen für eine möglichst wirklichkeitsnahe Rekonstruktion auf Daten aus der RSCB Protein Data Bank zurück: die frei zugängliche Standardquelle für die Struktur von Proteinen. Hier werden die Informationen gesammelt, die Forscher mit verschiedenen Methoden zusammengetragen haben.

„Mit Elektronenmikroskopen lässt sich das Virus am schärfsten direkt abbilden. Die Struktur wird damit allerdings nur in Grundzügen erkennbar, wobei die äußeren Spike-Proteine und die Virushülle auch für Ungeübte sofort erkennbar sind“, so Birgit Strodel. Mit dem noch relativ jungen Verfahren der Kryo-Elektronenmikroskopie ist es zudem möglich, aus Tausenden Aufnahmen noch deutlich höher aufgelöste 3D-Modelle bis hin zu atomaren 3D-Modellen von einzelnen Bereichen des Virus zu errechnen.

Kryo-elektronenmikroskopische Aufnahmen von SARS-CoV-2. Quelle: C. Liu et al., DOI: 10.1101/2020.03.02.972927, CC BY-NC-ND 4.0

„Man muss allerdings bedenken, dass die Illustration schon im Januar, also zu einem sehr frühen Zeitpunkt entstand, als nur sehr wenige Informationen über SARS-CoV-2 bekannt waren“, bemerkt Strodel. Den genauen Aufbau der charakteristischen äußeren Spike-Proteine hatte man damals noch nicht bestimmt. Er wurde erst im März in der Fachzeitschrift Science publiziert. Die Illustratoren orientierten sich daher vermutlich am schon länger erforschten SARS-Virus, das sich Anfang des Jahrtausends weltweit ausbreitete. „Die genetische Information des SARS-Erregers stimmt zu 85 Prozent mit dem neuartigen SARS-CoV-2-Typ überein, sodass man davon ausgehen kann, dass auch die verschiedenen Virusproteine sehr ähnlich sind“, meint Birgit Strodel.

Quelle: CDC/ Alissa Eckert, MS; Dan Higgins, MAMS (Public Domain)

Die wichtigsten Merkmale des Virus sind, soviel weiß man heute, recht treffend dargestellt. Neben den markanten, weit abstehenden Spike-Proteinen ragen aus der Hülle die hier orangen, paarweisen Enden der M-Proteine sowie einige wenige vereinzelte E-Proteine, die in der Grafik gelb eingefärbt sind. Was jedoch nicht passt, ist das Mengenverhältnis. „Normalerweise befinden sich in der Hülle deutlich mehr M-Proteine als Spike-Proteine. In der Illustration ist es genau umgekehrt, vermutlich aus ästhetischen Gründen“, sagt Birgit Strodel.

Schematischer 3D-Aufbau des SARS-CoV-2. Quelle: Scientific Animations, CC BY-SA 4.0

Noch wenig bekannt ist außerdem über das Aussehen der Lipidhülle, die die RNA und die sogenannten N-Proteine im Innern des Virus umgibt. Der New York Times zufolge wählten die Illustratoren hierfür einfach eine steinige, möglichst „griffig“ wirkende Textur. In der Realität ist die Struktur sie vermutlich komplexer, meint Birgit Strodel: „Die Struktur der Hülle wurde bisher nicht genau erforscht. Aber in der Regel bestehen solche Lipidhüllen aus einer Vielzahl verschiedener Moleküle, und haben deshalb keine so gleichmäßige Oberfläche.“

Fazit

Will man die Frage beantworten, ob die hier besprochene Illustration des Coronavirus tatsächlich mit der Realität übereinstimmt, so muss man sagen: teilweise. Wie wohl bei jeder guten Illustration steckt viel fundiertes Wissen dahinter. Doch damit sie richtig Eindruck macht, müssen viele gestalterische Entscheidungen getroffen werden; manchmal vielleicht sogar entgegen wissenschaftlicher Fakten, um den gewünschten Ausdruck zu erzielen.

Wie umfassend das Spektrum an gestalterischen Möglichkeiten ist, haben Phillip Kendicott in der Washington Post  und vor einigen Tagen Erik Svallingson, Bibliothekar am schwedischen Karolinska Institutet, diskutiert.

Dabei wird deutlich, dass es neben der dramatischen, hyperrealistischen Illustration von Eckert und Higgins auch andere Ansätze gibt: beispielsweise die Darstellungen des Illustrators David S. Goodsell, die im Stile psychedelischer Grafiken der 1970er Jahre gehalten sind, in denen das Virus gleich in einem anderen Licht erscheint.

Quelle: David S. Goodsell, RCSB Protein Data Bank; doi: 10.2210/rcsb_pdb/goodsell-gallery-019

 

About Tobias Schlößer

Tobias Schlößer arbeitete mehrere Jahre als Wissenschaftsjournalist und ist seit 2011 Pressereferent am Forschungszentrum Jülich. In der Unternehmenskommunikation liegen seine Schwerpunkte auf Themen in den Bereichen Physik, Energie und Informationstechnologie.

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