Der Jülicher Supercomputer JUWELS wurde im vergangenen Jahr in Betrieb genommen und ermöglicht das Lösen rechenintensiver Problemstellungen. Für den Betrieb wird JUWELS über einen Wasserkreislauf gekühlt, der die entstehende Abwärme an die Umwelt abführt.

Bislang wurden technische Prozesse meistens einzeln optimiert, ohne Betrachtung von benachbarten Prozessen. So wird aktuell die Abwärme der Supercomputer aktiv „weggekühlt“ obwohl gleichzeitig umliegende Gebäude in der Heizperiode Heizwärme benötigen. Das geht sicherlich effizienter. Ein solche innovative Möglichkeit wird bald im Reallabor Living Lab Energy Campus (LLEC) demonstriert.

Abb. 1: FZJ-Liegenschaft und 16-er Bereich mit zukünftigem Niedertemperaturnetz (Leitungsverlauf ist vereinfacht dargestellt)

Im Zuge des Reallabors werden Energieströme aus dem Campus des Forschungszentrum Jülich erfasst und analysiert, um damit eine ganzheitliche Systemoptimierung durchzuführen. Bei dieser Gesamtbetrachtung ist es naheliegend, die Abwärme vom Jülich Supercomputing Centre (JSC) für die Gebäude­ heizung zu nutzen. Das vermeintliche Abfallprodukt „Abwärme“ wird so zu einer nützlichen Ressource. Die Abwärme wird über ein sogenanntes Niedertemperaturnetz zu den umliegenden Gebäuden verteilt. Durch dieses Niedertemperaturnetz wird die Abwärme des Supercomputers mit dem Heizbedarf der Gebäude gekoppelt. Mit dieser Kopplung wird auf der Seite des Supercomputers ein Kühlbedarf und auf der Seite der Gebäude ein Heizbedarf eingespart. Durch diese Einsparungen werden zudem CO2-Emissionen und Betriebskosten des Gesamtsystems gesenkt.

Der Jülicher Fall ist sicherlich kein Einzelfall. Durch die voranschreitende Digitalisierung nimmt die Rechner- und Speicherkapazität weltweit weiterhin stark zu und hat somit mittlerweile einen be­deutenden Anteil am weltweiten Strombedarf. Solche Rechenzentren stehen und entsteht auch in der Nähe von Ballungsräumen mit entsprechend hohen Wärmebedarfen. Abwärmenutzung kann somit einen echten Beitrag zur Senkung des fossilen Brennstoffeinsatzes leisten.

Abb. 2. Der wassergekühlte Supercomputer „JUWELS“, Quelle: Forschungszentrum Jülich/Sascha Kreklau

Des Weiteren nimmt der Anteil volatiler (fluktuierender) Energien im Stromnetz durch den Ausbau von erneuerbaren Energiequellen wie z.B . Solar- und Windkraftanlagen zu. Wegen der erhöhten Volatilität gewinnt das Speichern von Energie an Bedeutung. Das Speichern von elektrischer Energie durch Batterien ist vergleichsweise teuer. Durch den Einsatz von Wärmepumpen beim Nieder­temperaturnetz, dazu später mehr, wird der Strom- mit dem Wärmesektor gekoppelt. Je nach Gebäude kann die Baustruktur aufgrund der großen Masse und Wärmekapazität jede Menge Energie speichern. Durch Einsatz von Wärmespeichern kann die speicherbare Menge weiter vergrößert werden. Die Speicherung von Energie in Form von Wärme kann dazu beitragen, den Energiebedarf der volatilen Erzeugung erneuerbarer Energien anzupassen. Aus diesen Gründen können Niedertemperaturnetze ein weiteres Puzzlestück der Energiewende bilden.

Zur Nutzung der genannten Speicherpotentiale ist eine übergeordnete Regelung der Wärmepumpen notwendig. Diese sogenannte modelprädiktive Regelung bestimmt den Betrieb von z.B. Wärmepumpen unter Verwendung eines Models von Netz und Gebäuden. Bei der Bestimmung der Fahrweisen werden z.B. zukünftige wetterbedingte Wärmebedarfe und Elektrizitätsangebote, wie beispielsweise Einspeisungen von Photovoltaikanlagen berücksichtigt. Die Entwicklung und Anwendung von mathematischen Optimierungsverfahren für die Auslegung und den Betrieb von Energiesystemen ist eine zentrale Forschungsaufgabe des IEK‑10 (Modellierung von Energiesystemen).

Bei dem zukünftigen Betrieb kommt eine sogenannte Informations- und Kommunikationsplattform (IKT-Plattform) auf Basis von der open-source Plattform FIWARE zum Einsatz (siehe Abb. 3). Diese „Helmholtz“ IKT-Plattform für Quartiersenergiesysteme wird gemeinschaftlich mit dem Institut für Automation und angewandte Informatik des KIT (KIT-IAI) entwickelt. Die IKT-Plattform samt Applikationen wird in der FZJ eigenen Cloud „JuCloud“ ausgeführt. In der Applikationsschicht werden z.B. die vergleichweise intensive Optimierungsrechnungen für die modelprädiktive Regelung ausgeführt. Der Austausch von z.B. Anlagenmessdaten und Sollwerten zwischen Applikationen und Anlagen findet über die IKT-Plattform und Gateways statt.

Fig. 3: Helmholtz IKT-Plattform für Quartiersenergiesysteme

Bislang wurden solche Ansätze vornehmlich theoretisch untersucht und die Ersparnisse rechnerisch nachgewiesen. Im Rahmen eines durch das BMWi geförderten Drittmittelprojektes, welches in das Reallabor eingebettet ist, soll der Betrieb eines solchen Niedertemperaturnetzes auf der FZJ-Liegenschaft demonstriert werden. Für uns ist es eine reizvolle Aufgabe, solche innovativen Ansätze in die Realität zu überführen und dort auf Herz und Nieren zu testen.

Begonnen hat das Forschungsprojekt vor ca. zwei Jahre. Zu Projektbeginn wurde vom IEK-10, „Technik und Betrieb“ (T) und „Planen und Bauen“ (B) analysiert, welche Bestandsgebäude in Bezug auf die baulichen Anforderungen und ihre Lage sinnvoll mit dem zukünftigen Niedertemperaturnetz verbunden werden können. Dabei zeigten sich die Gebäude G04.1 (Seecasino), G16.3, G16.4, G16.6u+y, G16.9, G16.11 und G16.13 als geeignet (siehe Abb. 1). Darüber hinaus wird das zukünftige Verfügungsgebäude G16.17 direkt an das Nieder­temperatur­netz angeschlossen (siehe Abb. 4).

Abb. 4: Verfügungsgebäude 16.17 („klimaneutraler Verwaltungsbau“), Quelle: hks Architekten

Von Anfang an wurde das Thema Versorgungssicherheit mitbedacht. Auch wenn der Großr­echner auslastungsbedingt oder durch Arbeiten am Rechner nicht genügend Abwärme produziert, können die Gebäude unverändert beheizt werden. In diesem nicht häufig auftretenden Fall wird Wärme aus dem bestehenden Fernwärmenetz in das Niedertemperaturnetz eingespeist. Neben der erwähnten modelprädiktiven, übergeordneten Regelung in der „Private-Cloud“ ist eine herkömmliche handels­übliche Regelung auf Gebäudeebene vorgesehen.

Für die Auslegung der Systeme wurden am IEK-10 bzw. am Partnerinstitut der RWTH-Aachen, dem Institute for Energy Efficient Buildings and Indoor Climate (EBC), Softwaretools und Modellbibliotheken entwickelt und genutzt. Dabei handelt es sich beispielsweise um die open-source Projekte AixLib und uesgraphs (siehe Helmholtz Energy Computing Initiative). Mittels Netzsimulationen wurde untersucht, ob ein Teil des bisherigen Fernwärmenetzes im Bereich der 16er Gebäude zum Niedertemperaturnetz umgewidmet werden kann und somit als Teil des neuen Netzes genutzt werden kann. Ein Kubikmeter Wasser im Nieder­temperaturnetz transportiert deutlich weniger Energie als im Fernwärmenetz wodurch deutlich höhere Volumenströme durch das Netz transportiert werden müssen. Beim Niedertemperaturnetz muss in etwa die gleiche Wärmemenge wie beim Fernwärmenetz transportiert werden. Daher hat nicht jeder Rohrabschnitt des Bestandnetzes genügend Kapazitätsreserven um im Niedertemperaturnetz genutzt zu werden. Mithilfe der Netzsimulation wurden die Abschnitte ermittelt, die durch Rohre mit einem größeren Durchmesser ausgetauscht werden müssen (siehe Abb. 5). Basierend auf diesen Ergebnissen wurde das Niedertemperaturnetz geplant und gebaut. Die Netzplanung lässt sogar eine spätere Erweiterung des Nieder­temperaturnetzes in den 15er Bereich problemlos zu.

Abb. 5: Leitungsverlauf (Leitungsverlauf ist vereinfacht dargestellt)

Aktuell werden alle Gebäude der Liegenschaft per Fernwärme aus dem Braunkohlekraftwerk Weisweiler mit etwa 120°C heißem Wasser versorgt. Zukünftig wird diese Versorgung bei gleich­bleibenden Temperaturen auf selbstproduzierte Wärme aus der zukünftigen Wärmevoll­versorgungs­zentrale umgestellt. Das Niedertemperaturnetz arbeitet mit einer deutlich geringeren Vorlauf­temperatur von ca. 30°C. Ohne große bauliche Maßnahmen reicht diese Vorlauftemperatur sicherlich nicht aus, um ein behagliches Innenklima der angeschlossenen Bestandsgebäude zu bieten. Durch den Einsatz von Wärmepumpen wird die Temperatur des Abwärmestroms im Gebäude auf die notwendige Temperatur angehoben. Dadurch können die bestehenden Heizsysteme der Gebäude – also insbesondere die Rohre und Heizkörper – ohne Anpassung weiterbetrieben werden. In den anzuschließenden Gebäuden beschränken sich die Baumaßnahmen auf dem Hausanschlussraum. Es sind keinerlei bauliche Maßnahmen an der Gebäudehülle (wie z.B. Dämmmaßnahmen) bzw. in den Büros, Laboren und Versuchshallen notwendig.

Jetzt, wo die Planung abgeschlossen ist, geht es in die Umsetzung! Im ersten Schritt werden die neuen Rohrsegmente des Niedertemperaturnetzes verlegt (siehe Abb. 6). Im zweiten Schritt wird die Wärmeauskopplung vom Kühlkreis des Rechners in das zukünftige Niedertemperaturnetz realisiert. Die dafür notwendigen Wärmeübertrager werden in dem Neubau G16.4v untergebracht. Dieser in Abbildung 4 dargestellten Neubau ist Teil der bereits geplanten Erweiterung der Freikühlerkapazität des JSC. Im dritten und letzten Schritt werden ab dem Frühjahr 2021 die Wärmepumpen in den Hausanschlussräumen der Gebäude installiert. Anschließend wird der Betrieb der Heizung sukzessive bis Ende 2021 umgestellt.

Abb. 6: Rohre liegen für die Netzerweiterung bereit

Die Gebäudenutzer werden nach der Umstellung nicht merken, dass ihre Gebäude mit JUWELS-Abwärme statt Fernwärme versorgt werden. Die Technik ist im Hausanschlussraum bzw. Erdreich verborgen. Zukünftig können jedoch historische und Echzeit-betriebsdaten von allen Mitarbeitenden des Forschungszentrums mittels des am IEK-10 entwickelten Energy Dashboards im Intranet eingesehen werden. Unter anderem Fragen wie, „wieviel CO2 wird aktuell durch die Nutzung der Abwärme eingespart“, „wie groß ist der Anteil der Abwärme aktuell“ usw., werden dort transparent beantwortet.

Aktuell liegt ein detailliertes Model von dem Niedertemperaturnetz samt angeschlossener Gebäude vor. Zusammen mit dem bereits implementierten modelprädiktiven Regler kann virtuell „durch–gespielt“ und dargestellt werden, wie sich Netz und Gebäuden bei der verfügbaren JUWELS-Abwärme, Außentemperatur/Wärmebedarfs usw. verhalten würden. Diese Seite wird zeitnah im Energy Dashboard verfügbar sein (siehe Abb. 7). Auch die weiteren Energiedemonstratoren welche im LLEC-Reallabor nach und nach aufgebaut werden, werden dort sichtbar sein.

Abb. 7: Auscchnitt der Visualisierung des NT-Netzes im LLEC Energy Dashboard

Also auch wenn die nun beginnenden Bauarbeiten einige Zeit in Anspruch nehmen, können sich alle Kolleginnen und Kollegen mit Hilfe der Simulation auf dem Energy Dashboard schon bald ein Bild von dem neuen Niedertemperaturnetz machen.

Das Forschungsvorhaben EG2050: LLEC-Verwaltungsbau: Klimaneutraler Verwaltungsbau als aktiver Teil des LLEC (Förderkennzeichen: 03EGB0010A) wird gefördert vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestags.

About André Xhonneux

Andre Xhonneux ist promovierter Maschinenbauer und seit 2009 am FZJ beschäftigt; seit 2017 leitet er am IEK-10 die Abteilung „Gebäude und Quartiere“, welches sich mit der optimalen Auslegung und dem optimalen Betrieb von dezentralen Energiesystemen befasst. Dabei hat die Umsetzung von maßgeschneiderten Modellen und Algorithmen in die Praxis einen besonderen Stellenwert.

5 Responses to “HPC-Abwärmenutzung zur Gebäudeheizung – Baustart des Niedertemperaturnetzes”

  1. Heinz Pfeifer

    Hallo Herr Xhonneux,
    es freut mich sehr Ihren Beitrag „Mit Superrechner-Abwärme intelligent heizen“ zu lesen. Vor allem darum, weil ich vor vielen Jahren (2008) genau über dieses Thema einen Verbesserungsvorschlag eingereicht hatte. Auch damals gab es schon Großrechner und Wärmepumpen. (Wurde aber abgelehnt)
    Ich denke damals war die Fernwärmeenergie von RWE viel zu günstig und der gesellschaftliche Druck noch nicht hoch genug.
    Ich würde mich freuen mehr darüber zu erfahren. Vor allem würden mich die elektrischen Leistungsdaten unseres Großrechners, wie auch der Kühlleistungsbedarf dazu interessieren.
    H.Pfeifer

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  1. Klimaneutraler Verwaltungsneubau G16.17

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  2. Exascale-Abwärmenutzung wird gefördert

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