Für das typische Einfamilienhaus reicht oft die Ausstattung der eigenen Dachfläche mit Photovoltaik-Modulen aus, um sich zumindest bilanziell mit erneuerbarem Strom aus eigener Produktion zu versorgen. Private Haushalte machen allerdings nicht einmal ein Drittel des gesamten Strombedarfs in Deutschland aus,1 und gewerbliche Bauten oder gar Industrieanlagen benötigen teils deutlich mehr Strom als auf ihren Dachflächen produziert werden kann. Jenseits geeigneter Dächer löst die Errichtung von PV-Anlagen jedoch schnell Flächenkonflikte aus – insbesondere im vom Strukturwandel geprägten Rheinischen Braunkohlerevier rund um Jülich. Im Living Lab Energy Campus (LLEC) verfolgen wir daher verschiedene Ansätze zur Mehrfachnutzung von Flächen, wie sie beispielsweise durch die sogenannte „Agri-PV“ ermöglicht wird. 

Abb. 01: Es tut sich was am Bauplatz der Agri-PV-Anlage auf dem Campus.

Es wird eng: Kreative Lösungen sind gefragt 

Wirklich „ungenutzte“ Flächen gibt es in einem dicht besiedelten Land wie Deutschland kaum: Was nicht durch Wohn- oder Gewerbeimmobilien verbaut oder durch Verkehrsflächen versiegelt ist, dient der Landwirtschaft oder dem Naturschutz. Im Rheinischen Braunkohlerevier steigt durch den Ausstieg aus der Kohleverstromung der Bedarf an neuen Gewerbeflächen, aber auch an neuen Flächen für die Stromerzeugung. Gleichzeitig gehört die Jülicher Börde zu einer der produktivsten Regionen für die Landwirtschaft, so dass große Freiflächen-PV-Anlagen auf landwirtschaftlichen Flächen kaum vertretbar sind.  

Auf der Suche nach alternativen Anwendungsfällen für Photovoltaik auf landwirtschaftlichen Flächen arbeitet das IBG-2 seit mehreren Jahren am Thema der Agri-PV – also der gleichzeitigen Produktion von Strom über PV-Anlagen und Pflanzen auf derselben Fläche. Partner sind dabei unter anderem auch das IMD-3, das Helmholtz Institut Erlangen-Nürnberg (HI ERN/ IET-2) sowie Industrie und Landwirtschaft. Die Agri-PV-Technologie kann grundsätzlich zu einer höheren Flächennutzungseffizienz beitragen im Vergleich zu reinen PV-Freiflächenparks, da auf einer Fläche gleichzeitig Ernte- und Stromerträge erwirtschaftet werden2. Unter welchen Bedingungen und mit welchen Pflanzen dies besonders gut gelingen kann, soll die gemeinsame Forschung an der neuen Anlage in den nächsten Jahren zeigen. Es werden verschiedene Versuche mit unterschiedlichen Pflanzenarten durchgeführt, Biomasse-Erträge werden ausgewertet und Leistungsdaten der PV-Module werden aufgenommen, so dass ein Gesamtbild der Landnutzung entsteht. Darüber hinaus ist es möglich, auch andere, neuartige PV-Entwicklungen zu installieren, um deren Einsatz z.B. in Gewächshäusern zu untersuchen.  

Nicht nur für Lateiner spannend: Der Campus als Feld 

Im Rahmen des LLEC wird nun auch auf dem Campus (lateinisch campus: „Feld“) des FZJ ein erste Demonstrator auf einer Versuchsfläche des IBG-2 aufgebaut. Die neue Agri-PV-Forschungsanlage ist aus Sicht der Pflanzenwissenschaftler eine Erweiterung der Agri-PV Forschungsanlage in Morschenich-alt3 und dem Demonstrator am Tagebau Garzweiler, in dem das IBG-2 gemeinsam mit RWE Renewables die Praxistauglichkeit erprobt. Diese Projekte sind heute schon wichtige Innovationsorte im Rheinischen Revier und laufen gemeinsam in enger Abstimmung mit der Strukturwandel-Initiative BioökonomieREVIER. Auf dem Campus ergab sich die Chance auf ein neues, spannendes Projekt am Standort 06.75-A (Abb. 02): Hier kann das IBG-2 praxisrelevante Experimente mit einem neuartigen System durchführen, während gleichzeitig Strom in das integrierte Energiesystem des LLEC eingespeist wird.   

Abb. 02: Standort 06.75-A der neu zu errichtenden Agri-PV-Anlage

Da die Agri-PV-Anlage sowohl aus LLEC-Projektbudget als auch aus IBG-Mitteln finanziert wird, haben wir als interdisziplinäres Projektteam während des Projektverlaufs gemeinsam an der Entwicklung der Forschungsanlage gearbeitet und dabei die verschiedenen Blickwinkel aus Energie-, Bau- und Pflanzenexpertise einfließen lassen. Für die Forschung des IBG-2 ist eine höhere Vielfalt der Überdachungsgestaltung bzw. Verschattungsoptionen optimal. So wird ein Drittel der Fläche mit 40 % transparenten Solarmodulen belegt, ein weiteres Drittel mit 60 % transparenten Solarmodulen belegt und ein letztes Drittel gar nicht verschattet (also ohne PV-Module gestaltet; vgl. Abb. 03). Das ergibt auf einer Fläche von ca. 10 m x 45 m eine installierte PV-Leistung von insgesamt ca. 25,5 kWp mit 100 teiltransparenten Silizium-Solarmodulen.  

Abb. 03: Ansicht der dreigeteilten Agri-PV-Anlage   
(hellblau: 0 % Verschattung, blau: 40 % Verschattung, dunkelblau: 60 % Verschattung) 
 

Im Ergebnis werden zusätzliche Erkenntnisse zur Beerenkultivierung unter idealen Belichtungs-/Verschattungsverhältnissen generiert und gleichzeitig Strom produziert – und damit außerdem identifiziert, wie der Ertrag dieser „doppelten Ernte“ möglichst optimiert werden kann. Nach der intensiven Zeit der Projektentwicklung und Planung freuen wir uns, dass die Bauphase begonnen hat und das Portfolio des LLEC bald um einen weiteren prototypischen Demonstrator im Sektor Photovoltaik reicher sein wird.  

Abb. 04: Das Projektteam beim vor-Ort-Termin
  1. Quelle: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/236757/umfrage/stromverbrauch-nach-sektoren-in-deutschland/ ↩︎
  2. Quelle: Trommsdorf et al. (2024). Agri-Photovoltaik: Chance für Landwirtschaft und Energiewende – Ein Leitfaden für Deutschland | Stand Februar 2024. Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE Freiburg, 2024. Online verfügbar unter: https://ise.link/agri-pv-leitfaden, zuletzt abgerufen am 13.02.2025. ↩︎
  3. Weiterführende Links zur mit Strukturwandelfördermitteln errichteten Agri-PV-Anlage in Morschenich-alt:  
    Agri-PV  
    Agri-/Horti-Photovoltaik im BioökonomieREVIER:Grüner Strom und innovative Landwirtschaft im Klimawandel  
    BiooekonomieREVIER: tu! Hambach: Besuch der Agri-Photovoltaik Anlage in Morschenich-Alt   ↩︎

About Martin Wirtz

Martin Wirtz ist promovierter Politikwissenschaftler und seit Anfang 2024 zuständig für Technologietransfer und Netzwerkarbeit im Projekt LLEC sowie im Fachbereich TB-X (Intelligent Campus). Zum komplexen Zusammenspiel von Technologie und Gesellschaft hat er an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg geforscht und gelehrt, bevor er in Reallabor-Projekten zum autonomen Fahren und Fliegen bei der Stadt Aachen sowie im Strukturwandel für die Stadt Mönchengladbach tätig war.

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