Als Bestandteil von Gütern des täglichen Gebrauchs begegnen dem Menschen Tenside vor allem in Form von Schaum. Neben der Nutzung als Zutat in Reinigungs- und Waschmitteln gehören auch weniger bekannte Bereiche wie die Arzneimittel-, Lebensmittel- oder Papierherstellung zu Einsatzgebieten der Tenside. Der Wechsel von einer erdölbasierten Produktion zu potenziell nachhaltigeren Herstellungsverfahren in einer zukünftigen Bioökonomie betrifft auch eine Vielzahl chemischer Erzeugnisse. Im Falle vollständig biobasierter Tenside (ugs. Biotenside) werden Mikroorganismen wie Bakterien und Pilze als „Tensidfabriken“ und organische Reststoffe/Nebenprodukte für deren „Fütterung“ eingesetzt. Um sich ein Bild von der Nachhaltigkeit derartiger Produktionsverfahren zu machen, greifen Forscherinnen und Forscher des IEK-STE am Forschungszentrum Jülich im Rahmen des vom Bioeconomy Science Center (BioSC) geförderten Projektes Bio² (https://www.biosc.de/BIO2) auf etablierte Instrumente der Nachhaltigkeitsbewertung zurück.

  • Was wurde im Projekt Bio² entwickelt und untersucht?

Im Projekt Bio² haben Forscherinnen und Forscher der RWTH Aachen, der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und des Forschungszentrums Jülich die Produktion der Biotenside Rhamnolipid (RL) und Mannosylerythritol-Lipid (MEL) verfahrenstechnisch entwickelt und untersucht [1]. Die eingesetzten Bakterien (Pseudomonas putida) und Pilze (Ustilago maydis), die als„Tensidfabriken“ dienen, bilden natürlicherweise die o.g. Tenside und wurden einer industriellen Produktion mittels Fermentation angepasst (Stammentwicklung/-optimierung). Die Bereitstellung von Nahrung (Zucker, Spurenelemente etc.) für die industrielle mikrobielle Produktion (Substrat/Nährstoffe) erfolgt dabei durch Nebenprodukte der Zuckerindustrie (Melasse, Zuckerrübenschnitzel). Weitere technische Bestandteile der entwickelten Verfahrenstechnik sind der Fermentation vorgelagerte (z.B. Lagerung, Zerkleinerung etc.) und nachgelagerte (Isolation des Produktes) Prozessabschnitte. Ergebnisse aus Laborversuchen erlaubten die Modellierung einer großskaligen industriellen Produktion (Prozessentwicklung/-optimierung). Die entwickelten Prozessketten wurden einer Nachhaltigkeitsbewertung unterzogen, die zur Identifizierung möglicher Schwachstellen dient (Prozesskettenanalyse/-bewertung). Die nachstehende Abbildung 1 fasst die wesentlichen Arbeitsinhalte des Projektes zusammen.

Abbildung 1: Vereinfachte Darstellung der Arbeitsinhalte und Aspekte im Rahmen des Projektes Bio²

  • Was sind Tenside?

Als Tenside werden grenzflächenaktive Stoffe bezeichnet, die für eine Herabsetzung der Oberflächen- und Grenzflächenspannung sorgen. Im Falle von Wasser äußert sich die vorhandene Spannung (ohne Tenside) in Phänomenen wie der „Unvermischbarkeit“ von Öl mit Wasser oder der „Unsinkbarkeit“ von Wasserläufern, da sich das Wasser von weiteren Phasen durch starke innere Anziehungskräfte (Wasserstoffbrückenbildung) abgrenzt. Polare hydrophile (wasserfreundliche) und unpolare hydrophobe (wasserabweisende) Teile eines Tensid-Moleküls ermöglichen, dass Tenside als eine Art Vermittler zwischen unterschiedlichen Phasen (z.B. Wasser, Luft, Öl) fungieren und eine Vermischung der Phasen erfolgen kann. Diese Gegebenheit ermöglicht bspw. das Ablösen von Schmutz von Textilien (Tenside in Waschmitteln) oder die Herstellung von Emulsionen (z.B. Kosmetik).

  • Wie werden Tenside produziert?

Tenside werden gegenwärtig zum größten Teil (ca. 95 %) auf Basis von Erdöl oder Tier-/Pflanzenfette produziert. Mit einem Umsatz von etwa 3,4 Mrd. € und einer Produktionsmenge von ca. 3 Mio. Tonnen pro Jahr stellt der europäische Tensidmarkt eine bedeutende Größe im globalen Kontext dar (globaler Umsatz ca. 35 Mrd. € in 2019) [2, 3]. Die Produktion vollständig biobasierter Tenside mit Hilfe von Mikroorganismen, wie sie im Projekt Bio² realisiert wird, hat derzeit nur einen geringen Marktanteil (ca. 0,1 %). Die entwickelten Prozessketten im Projekt Bio² legen ihren Hauptfokus auf ein neuartige patentiertes Fermentationsverfahren ohne Schaumbildung bzw. produktspezifische Isolationsschritte (z.B. Extraktion). Die Analyse der Nachhaltigkeit kann mit Blick auf die derzeitigen Produktionsverfahren Hinweise auf sinnvolle zukünftige Markt- und Technikentwicklungen geben.

  • Was bedeutet Nachhaltigkeit?

Nachhaltigkeit wird heute im globalen Kontext betrachtet und beschreibt die Erhaltung von Lebensgrundlagen gegenwärtiger und zukünftiger Generationen. Stark in den Vordergrund gerückt wird dabei oftmals die Wirkung von Produkten auf die Umwelt. Als populärer Bewertungsindikator werden dabei bspw. oftmals CO2-Äquivalente (Treibhauspotenzial) herangezogen, die jedoch hinsichtlich der Umweltwirkung nur einen Indikator von vielen repräsentieren. In einer ganzheitlichen Betrachtung werden neben einer Vielzahl weiterer Umwelteffekte (z.B. Saurer Regen, Ressourcenverbrauch, Sommersmog etc.) auch wirtschaftliche Aspekte und soziale Belange als gleichberechtigte Bewertungsgrundlagen quantitativ erfasst.

  • Wie wird Nachhaltigkeit analysiert?

Ermöglicht wird die Bewertung der Nachhaltigkeit durch eine Quantifizierung der unterschiedlichen Wirkungen. Für die entwickelten Prozessketten wird, wie in Abbildung 2 dargestellt, eine sog. Systemgrenze definiert. Alle ein- und ausgehenden Stoffe und Energiemengen werden quantifiziert und mit Wirkungen verknüpft. Im Fall der Umweltwirkung werden bspw. eingehende Melassemengen oder die, mit der Energieerzeugung verbundenen CO2-Emissionen erfasst. Diese Material- und Energieströme sowie erzeugte Emissionen (Abgase, Abfälle etc.) tragen zu unterschiedlichen Umweltwirkungen bei. Analog dazu werden bspw. Investitionen und Kosten für die wirtschaftliche, und investierte Arbeitsstunden für die soziale Wirkung erfasst. Somit lassen sich ökologische, ökonomische und soziale Wirkungen durch Zahlen hinterlegen. Die so ermittelten Ergebnisse (z.B. CO2-Äquivalente, Produktionskosten, faires Gehalt) lassen einerseits zu, dass die Prozesse identifiziert werden können, die besonders hohe Wirkungen aufweisen (z.B. erhöhte Umweltwirkungen durch spezifische Betriebsmittel). Andererseits lässt sich durch vergleichende Betrachtungen der Produktionswege eine Aussage über die relative Nachhaltigkeit treffen. Dies ermöglicht die frühzeitige Optimierung von Prozessen, da die Nutzung nachwachsender Rohstoffe oder von Reststoffen nicht per se einhergeht mit gesteigerter Nachhaltigkeit.

Abbildung 2: Vereinfachte Darstellung der Prozessstufen zur Herstellung vollständig biobasierter Tenside sowie ein- und ausgehender allgemeiner Größen

Methodische Basis für die Bewertung der Umweltwirkungen sind die ISO-Normen 14040/14044 für Ökobilanzierungen (engl.: Life Cycle Assessment) [4, 5]. Wirtschaftliche Aspekte wurden auf Grundlage der Richtlinien für Lebenszykluskosten-Analysen (engl.: Life Cycle Costing) bewertet und mit weiteren ökonomischen Parametern ergänzt [6]. In Bezug auf Sozialwirkungen wurde die Richtlinie zur Durchführung sozialer Lebenszyklus-Analysen (engl.: Social Life Cycle Assessment) angewandt [7].

  • Welche Ergebnisse sind erzielt worden?

In der nachfolgenden Abbildung 3 sind exemplarisch Ergebnisse der drei o.g. Bewertungsdimensionen abgebildet. Hinsichtlich der Gesamt-Umweltwirkungen pro kg produziertes Tensid wird deutlich, dass das Produkt RL (100 %) deutlich höhere Umweltwirkungen (ca. 20-fach) als das Produkt MEL (ca. 5,2 %) aufweist. Des Weiteren lassen sich die Schwerpunkte der Umweltwirkungen innerhalb der Prozessketten in der Fermentation (RL und MEL), der Rezyklierung des Fällungsmittels- (RL) und den Extraktionsstufen (MEL) ausmachen. Eine tiefergehende Analyse der Daten zeigt, dass hierbei die Stahlproduktion für den Fermentationsbehälter sowie die Produktion von Fällungs- und Extraktionsmitteln hauptverantwortlich sind. Beim Blick auf die exemplarischen Kosten, die sich bei der Annahme einer Produktion von 15.000 kg Produkt pro Jahr ergeben, zeigt sich ebenfalls ein klarer Vorteil der MEL-Produktion, die bei etwa 30 % der Kosten der RL-Produktion liegen. Die Auswertung sozialer Risiken zeigt, dass die RL-Produktion bei allen ausgewählten Kategorien eine etwa 14-fach höhere Wirkung entfaltet, sodass auch in dieser Hinsicht die MEL-Produktion zu bevorzugen ist.

Abbildung 3: Exemplarische relative Resultate je Produkteinheit für die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit in einem Vergleich zwischen Rhamnolipid-Produktion mit Melasse (RL_MOL) und Mannosylerythritol-Lipid-Produktion mit Melasse (MEL_MOL);

  • Diskussion/Einordnung der Ergebnisse

Mit den Ergebnissen lässt sich belegen, dass die Nachhaltigkeit der MEL-Produktion eindeutig positiver zu bewerten ist. Zurückzuführen ist dies u.a. auf die unterschiedlichen Ausbeuten der Mikroorganismen (Produktmenge/eingesetzte Substratmenge). Bei gleicher Produktmenge fallen die Aufwendungen bei niedriger Ausbeute erwartungsgemäß höher aus. Eine Erhöhung der Ausbeute lässt sich durch weitere Optimierung der Mikroorganismen erreichen. In den Umweltwirkungen würde sich dies durch eine Verringerung pro produzierter Tensidmenge zeigen. Da die finanziellen und mengenmäßigen Aufwendungen pro kg Tensid sinken hätte dies auch positive Effekte auf wirtschaftliche und soziale Wirkungen. Die Vermeidung von Überdimensionierungen einzelner Prozessbestandteile (Fermentationsbehälter) oder der Einsatz alternativer Fällungs- und Extraktionsmittel mit geringeren Umweltwirkungen kann zur Senkung der Wirkungen beitragen.

Durch die Berücksichtigung beschriebener und weiterer Erkenntnisse der Nachhaltigkeitsbewertung können nachteilige technische Entwicklungen frühzeitig verhindern und zukunftsorientierte marktfähige Produkte identifiziert werden. Der Industrie und dem Verbraucher in einer Bioökonomie lassen sich so „saubere Lösungen“ bieten. Weitere Informationen zu Forschungsinhalten finden sich unter https://www.fz-juelich.de/iek/iek-ste.

Quellen/Informationen

[1]          Projektinformationen Bio²: https://www.biosc.de/BIO2

[2]          Verband der europäischen Tensid-Industrie zu Industriedaten: https://www.cesio.eu/index.php/information-centre/industry-data

[3]          Exemplarische Marktdaten: https://www.alliedmarketresearch.com/surfactant-market

[4]          ISO14040 (2006). ISO 14040:2006 – Environmental management – Life cycle assessment – Principles and framework. Verfügbar über: https://www.iso.org/standard/37456.html;

[5]          ISO14044. (2006). ISO 14044:2006 – Environmental management – Life cycle assessment – Requirements and guidelines. Verfügbar über: https://www.iso.org/standard/38498.html

[6]          SETAC (2011). Environmental life-cycle costing: a code of practice. In T. E. Swarr, D. Hunkeler, W. Klöpffer, H.-L. Pesonen, A. Ciroth, A. C. Brent, & R. Pagan (Eds.). Pensacola (US) / Brussels (BE): Society of Environmental Toxicology & Chemistry Europe.

[7]          UNEP/SETAC (2009). Guidelines for social life cycle assessment of products. In C. Benoît & B. Mazijn (Eds.). Nairobi (KEN): United Nations Environment Programme (UNEP) and Society for Environmental Toxicology and Chemistry (SETAC).

About IEK-STE Systemforschung und Technologische Entwicklung

IEK-STE erforscht die langfristigen Eigenschaften von Energie- und Bioökonomiesystemen im Kontext von Transformation und Innovation. Wir betrachten Energie- und Bioökonomiesysteme als sozio-technische Konfigurationen, bei denen Technologien, Institutionen, Akteure, soziale Praktiken und Kulturen wechselseitig voneinander abhängen und in wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen eingebettet sind. Über die Gesichtspunkte techno-ökonomischer Effizienz hinaus adressieren wir die gesellschaftliche Realisierbarkeit von Transformationspfaden und bewerten sozio-technische Wechselwirkungen im Rahmen des Leitbilds der nachhaltigen Entwicklung. Im Mittelpunkt stehen Nachhaltigkeitsziele wie Wirtschaftlichkeit, Umweltverträglichkeit und Sozialverträglichkeit. Seit 2015 forschen wir als Core Group im Bioeconomy Science Center gemeinsam mit Partnern aus NRW. Im Rahmen des BioSC-Projekts Transform2Bio widmen wir uns der regionalen Implementierung einer nachhaltigen Bioökonomie und entwickeln und bewerten Transformationspfade insbesondere im Kontext des Strukturwandels im Rheinischen Revier.

No Comments

Be the first to start a conversation

Leave a Reply

  • (will not be published)