Mikroorganismen sind immer bestens an ihre natürliche Umgebung angepasst. Die Evolution hat dafür gesorgt, dass sie die verfügbaren Nährstoffe effizient nutzen können und darüber hinaus gegen schädliche Einflüsse gewappnet sind (nach Charles Darwin’s: „Survival of the Fittest”). Aber was passiert, wenn Biotechnologen ganz neue Stoffwechselwege in Mikroorganismen einbauen, um damit z. B. alternative Nährstoffquellen für die biotechnologische Produktion nutzbar zu machen?
So kann beispielsweise das Bodenbakterium Corynebacterium glutamicum (siehe Bildgeschichte: Bakterielle Zellfabriken) sehr gut auf Glukose („Traubenzucker“) wachsen, dafür aber nichts mit dem speziellen „Holzzucker“ Xylose anfangen. Für die Bioökonomie wäre das von großem Interesse, denn pflanzlicher Abfall enthält nicht nur Glukose, sondern eben auch in großen Mengen Xylose. Könnte C. glutamicum beide Zucker verwerten, dann ließen sich nachwachsende Rohstoffe viel wirtschaftlicher zur biotechnologischen Produktion nutzen.
Deshalb haben die Jülicher Biotechnologen einen neuen Stoffwechselweg in C. glutamicum für die Xylose-Verwertung eingebaut: den sogenannten „Weimberg“-Weg. Dieser Weg hat bei der Herstellung bestimmter biotechnologischer Produkte, wie z. B. alpha-Ketoglutarat, sogar noch einen entscheidenden Vorteil: Der gesamte Kohlenstoff der Xylose kann ins Produkt überführt werden, ohne dass dabei das Treibhausgas CO2 anfällt.
Der neue Mikroben-Stamm verfügte nun über einen Stoffwechselweg, der aber noch nicht nicht optimal mit dem restlichen Stoffwechselnetzwerk verbunden war. Insbesondere zeigte sich, dass der transplantierte Weimberg-Weg zwar arbeitet, aber dies mit viel zu geringer Geschwindigkeit. Dazu mag das Bakterium sein natürliches Substrat Glukose viel zu gern und lässt im Mix die alternative Kost weitgehend liegen.
(Quelle: Marco Oldiges (IBG-1: Biotechnologie))
Jetzt muss also wieder die Evolution ran, um den neuen Stoffwechselweg in seinem ungewohnten Wirt zu optimieren. Der Evolutionswettbewerb um den besten Kostverwerter kann heute im Labor „simuliert“ werden. Man spricht von künstlicher oder adaptiver Labor-Evolution (kurz „ALE“). Wie nun genau veranstalten die Biotechnologen einen solchen Evolutionswettbewerb? Dazu braucht es zwei Zutaten: viele Mutationen und ein Selektionskriterium.
Zunächst zu den Mutationen: Zum Glück nimmt es die Natur beim Kopieren der Erbsubstanz DNA nicht ganz so genau. Beim Verdoppeln der vielen tausend Gene im Verlauf der Zellteilungkommt es in einem von einer Million Fällen zu einer zufälligen Mutation, also einer Veränderung der Erbsubstanz. Nun vermehren sich Mikroorganismen im Labor unvorstellbar schnell. Aus einer einzelnen Zelle, die sich stündlich teilt, werden bereits nach 24 Stunden 224 = 16.777.216 Tochterzellen und dabei werden etwa 34 Millionen DNA-Kopien angefertigt. Das führt zu etwa 30 verschiedenen Mutationen in jedem einzelnen Gen. Da man zudem selten mit nur einer Zelle startet, sondern eher mit einer Million Mikroben und diese wiederum alle verschiedene Fehler beim Kopieren der Erbsubstanz machen, generiertder natürliche Mutationsmechanismus reichlich Mitstreiter für den Evolutionswettbewerb.
Jetzt fehlt noch das Auswahlkriterium für den „Survival of the Fittest“-Wettbewerb. Gewinnen soll am Ende die Mutante, welche auf dem alternativen Substrat Xylose am schnellsten wächst. Hierzu muss man wissen was passiert, wenn sich eine Mutation einschleicht. Bei einigen Genen hat eine Veränderung der DNA gar keine Auswirkung, andere Mutationen sind für den Mikroorganismus nachteilig oder gar tödlich. Interessant wird es, wenn eine mutierte Tochterzelle auch nur ein kleines bisschen schneller wächst als ihre Mutterzelle. Dann wird sie durch das explosive Wachstum schon nach kurzer Zeit ihre Konkurrenten überflügeln und sich anreichern. Am Ende muss man nur noch den angereicherten Hochleistungsstamm aus der Kultur herausfischen.
Das optimierte Jülicher Corynebacterium kann nach dieser Prozedur nun hervorragend auf einer Mischung von Glukose und Xylose wachsen. Die spezifische Wachstumsrate auf Xylose konnte um sagenhafte 260 % gesteigert werden. Natürlich ist dieser Wachstums-Champion nicht mehr der Organismus, der er einmal war. Mit Hilfe moderner Gensequenzierungsmaschinen können die Forscher heute sogar ganz leicht herausfinden, durch welche genetischen Veränderungen sich der Organismus konkret zu seinem Vorteil verändert hat. Also in unserem Fall, welche Mutation die Begeisterung für den Verzehr der Xylose ausgelöst hat. So hilft uns eine blind würfelnde Evolutionsmaschine, neue Entdeckungen zu machen und neues Wissen aufzubauen.
Ein Beitrag von Elisabeth Zelle, Stephan Noack und Wolfgang Wiechert
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