Die Corona-Krise hat allen gezeigt wie anfällig unsere hochtechnisierte und durchorganisierte Gesellschaft sein kann. Der Begriff „Homeoffice“ steht seitdem für eine Möglichkeit, Arbeitsprozesse durch die rigorose Nutzung von Digitalisierungstechnologien auch in der Krise aufrechtzuerhalten. In der Praxis muss eine Tätigkeit allerdings dafür geeignet sein oder geeignet gemacht werden. Funktioniert dezentrales Arbeiten also auch in der Biotechnologie? Stehen experimentell arbeitende Wissenschaftler und Laborpersonal, nicht immer an der Laborbank, pipettieren Flüssigkeiten, nehmen Proben, bedienen Geräte oder lesen Messwerte ab? Wie kann das Experiment Homeoffice also gelingen?

Die Arbeitswelt befindet sich in rasantem Wandel. Die vierte industrielle Revolution (Industrie 4.0) ist in vollem Gange. Die Berufswelt 4.0 wird vor allem durch die Digitalisierung geprägt [Zitat] und diese macht auch vor den Laboren nicht halt. Dabei kommt man natürlich auch in der Zukunft nicht ohne Mitarbeiter im Labor aus, aber der Arbeitsmittelpunkt bekommt ein zweites digitales Standbein für das Homeoffice. Heute ist man in der Lage, durch Miniaturisierung und Automatisierung eine enorme Zahl von Experimenten in kürzester Zeit durchzuführen und damit eine Fülle von Messdaten im Hochdurchsatz zu erzeugen. In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der Daten, die in einem biotechnologischen Labor produziert werden, vervielfacht. Zudem lassen sich immer mehr Laborgeräte – sogar per Smartphone – aus der Ferne überwachen [Zitat].   

Ein typisches Beispiel ist die Zusammensetzung eines Nährmediums für Mikroorganismen. Dies ist ein Cocktail aus chemischen Stoffen, mit dem die Zellen u.a. mit Kohlenstoff, Stickstoff, Schwefel, Phosphor oder Eisen versorgt werden. Ohne diese Elemente findet kein Wachstum statt, aber zu viel des Guten kann auch leicht toxisch werden. Wie bei einem guten Cocktail ist die Rezeptur entscheidend. Klassischerweise muss ein optimales Nährmedium für jeden industriellen Produktionsprozess mühsam durch systematisches Ausprobieren („trial-and-error“) zusammengestellt werden, wenn dies die Komplexität der Rezeptur überhaupt erlaubt. Durch die Miniaturisierung von Kultivierungsgeräten können heute hunderte Nährmedien-Rezepte in kurzer Zeit hoch parallel und mit minimalem Materialeinsatz durchmustert werden. Mehr noch, eine Künstliche Intelligenz sorgt dafür, dass die Experimente automatisch geplant und mit Blick auf die optimale Mixtur ausgewertet werden. Anders als in einer Bar ist das Mixen der Nährmediencocktails eine sehr stereotype Arbeit. Während der Mensch hier leicht Fehler macht, erledigen Laborroboter solche Arbeiten präzise, ermüdungsfrei und mit nie nachlassender Konzentration. Wissenschaftler und Laborpersonal setzen ihre kostbare Arbeitszeit dafür ein, die Roboter zu programmieren und die Laborexperimente vorzubereiten, die entstandenen Daten auszuwerten und zu entscheiden, welche Experimente morgen –  natürlich vom Roboter –  durchgeführt werden sollen.

TECHNIK-TEAMWORK (‚intern‘ 01-2019): Pipettierroboter und Mikrobioreaktor spielen am IBG-1 automatisiert zusammen.

Allerdings geht in Anbetracht der resultierenden, großen Datenfluten das Zusammenführen der verschiedenen Datenströme aus diversen Experimentiereinrichtungen, die anschließende Fehlerkorrektur, die Datenauswertung, das Ziehen der richtigen Schlüsse und schließlich die Planung neuer Experimente heute noch viel zu langsam. Dies liegt vor allem daran, dass der Mensch immer noch aufwendige Routineoperationen am Laptop oder sogar analog auf Papier durchführen muss. Aktuell ist eine Datenprozessierung mit dem manuellen Transfer von Daten in EXCEL-Tabellen noch weit verbreitet und viele Arbeitsstunden von Facharbeitern und Wissenschaftlern müssen dafür aufgewendet werden.

Hier setzt zukünftig die Datenwissenschaft und die Künstliche Intelligenz ein. Sie stellt die richtigen Algorithmen bereit, automatisiert Routineabläufe in der Datenanalyse und unterstützt den Menschen bei den Entscheidungen. Der Mensch bekommt so den Kopf dafür frei, sich auf die eigentlichen kreativen Teile seiner Arbeit zu konzentrieren und das natürlich auch im Homeoffice.

Ein Beitrag von E. Zelle, M. Oldiges, S. Noack und W. Wiechert

About IBG-1 Biotechnologie

Biologen, Chemiker, Informatiker, Mathematiker, Physiker und Ingenieure am IBG-1 bilden ein interdisziplinäres Team mit einem gemeinsamen Ziel: Nutzung von Mikroorganismen zur Gewinnung unterschiedlichster Bioprodukte aus nachwachsenden Rohstoffen. Die Forschung der Jülicher Biotechnologen zielt auf die Entwicklung neuer ressourcen-effizienter und nachhaltiger Bioprozesse. . Innerhalb des Bioeconomy Science Centers ist das IBG-1 ein zentraler Ansprechpartner für die Stofftransformation von nachwachsenden Rohstoffen hin zu hochwertigen chemischen Stoffen.

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