Zur Behandlung von gesundheitlichen Problemen oder schweren Krankheiten brauchen die meisten von uns Medikamente. Wir sind außerdem darauf angewiesen, dass die Nahrung, die wir zu uns nehmen, nachhaltig und in ausreichenden Mengen produziert wird. Dafür werden viele verschiedene und zum Teil auch neue Medikamente und Pflanzenschutzmittel benötigt. Sie beinhalten als wichtigste Komponente den sogenannten Wirkstoff – eine chemische Verbindung, durch den die Medikamente ihre Wirkung entfalten oder bei Pflanzenschutzmitteln die Pflanzen geschützt werden. Aber wie werden eigentlich neue Wirkstoffe gefunden? Wo fängt man an, wie entwickelt man einen Wirkstoff weiter, was können Bio-basierte Methoden beitragen und wie kann das Ganze effizient ablaufen? Mit diesen Fragen hat sich unser Forschungsteam des Projekts „CombiCom“ beschäftigt, in dem neun verschiedene Arbeitsgruppen aus Düsseldorf, Jülich, Bonn und Aachen zusammenarbeiten.

Kultivierung unserer Bakterien auf Nährmedium © IMET

Das Rezept unseres Forschungsteams ist smart und anschaulich: 1) Man nehme einen Naturstoff, dem bereits eine gewisse Wirksamkeit nachgesagt wird; 2) man konstruiere einen Mikroorganismus, der diesen Naturstoff effizient herstellen kann; 3) man füttere den Mikroorganismus mit abgewandelten Bausteinen des Naturstoffs, die in diesen eingebaut werden; 4) man erhalte so nun abgewandelte Varianten des Naturstoffs mit abgewandelter Wirkung. Das Ganze funktioniert im Grunde wie ein Puzzle mit austauschbaren Puzzle-Teilen.

Gewinnung von Naturstoff-Varianten nach dem „Puzzle-Rezept“ © Nora Bitzenhofer

„Im Detail ist es natürlich nicht ganz so leicht“ sagen alle Beteiligten am IBG-1 in den Instituten IMET (Prof. Karl-Erich Jaeger) und IBOC (Prof. Jörg Pietruszka), aber die Strategie geht auf. Wir benutzen den Mikroorganismus Pseudomonas putida für die Produktgewinnung und konnten eine ganze Reihe neuer Varianten vom knallig-roten Naturstoff „Prodigiosin“ herstellen, also praktisch eine Bibliothek anlegen. Diese Bibliothek kann dann immer wieder durchsucht werden, ob es Varianten gibt, die eine bestimmte gewünschte Wirkung haben. In der Tat haben wir bei Tests im Institut für Nutzpflanzenwissenschaften und Ressourcenschutz in Bonn für einige der Naturstoffvarianten festgestellt, dass sie nicht nur wirksam gegen Schädlinge sind, sondern auch noch weniger negative Nebenwirkungen auf andere harmlose Bodenbewohner haben und dazu auch noch das Pflanzenwachstum befördern – Volltreffer!

Die Bakterien leisten also ganze Arbeit und helfen uns bei der Bildung der Stoffe. Und wie funktioniert das im Detail bei der biologischen Produktion, wie kriegt man solche Naturstoffe aus der Anzuchtbrühe, in der die Bakterien wachsen, heraus? Wir nutzen hierfür ein Alltagsmaterial, das jeder kennt, bzw. auf dem jeder schon einmal gesessen hat: Polsterschaum. Der Schaumstoff besteht aus „Polyurethan“ und kann in kleinen Würfelchen in die Kulturbrühe gegeben werden. Dort haftet das Naturstoffprodukt an dem Schaum, sodass man beides zusammen mit einem Sieb gut von der Brühe mit den Bakterienzellen trennen kann. Die Schaumstoff-Würfelchen können dann extrahiert werden, also das Produkt wieder abgeben, das dann für die Tests zur Verfügung steht. Mit diesen Arbeiten leisten wir im IBG-1 einen Beitrag dazu, Naturstoffe zu erschließen, sodass sie für die Forschung zur Verfügung stehen.

Herausfischen des wertvollen Naturstoffs aus Bakterienkulturen mit Polsterschaum © IBG-1/HHU

Die Idee Schaumstoff zu nutzen gaben übrigens andere Forscher, die im Grunde denselben Prozess für das Herausfischen eines anderen Naturstoffs aus ganz anderen Bakterienkulturen nutzten (für Bakteriochlorophyll-Vorstufen aus Rhodobacter capsulatus, aber das ist eine andere Geschichte). Weil beide Stoffe verwandte chemische Eigenschaften hatten, war es einen Versuch wert. Es wird gemunkelt, dass die ersten Tests mit Polsterschäumen aus studentischen WG-Sofas gemacht wurden, bevor wir das Verfahren mit standardisiertem Material etabliert haben. Das möchten wir weder dementieren noch zugeben, aber klar ist, kreatives Quernutzen lohnt sich, und nicht immer ist eine Problem-Lösung im Labor nur mit High-Tech möglich. Die besten Ideen kommen einem also nicht immer unter der Dusche, sondern manchmal auch ganz gemütlich auf dem Sofa.

Ein Beitrag von Robin Weihmann, Hannah Brass, Anita Loeschcke

About IBG-1 Biotechnologie

Biologen, Chemiker, Informatiker, Mathematiker, Physiker und Ingenieure am IBG-1 bilden ein interdisziplinäres Team mit einem gemeinsamen Ziel: Nutzung von Mikroorganismen zur Gewinnung unterschiedlichster Bioprodukte aus nachwachsenden Rohstoffen. Die Forschung der Jülicher Biotechnologen zielt auf die Entwicklung neuer ressourcen-effizienter und nachhaltiger Bioprozesse. . Innerhalb des Bioeconomy Science Centers ist das IBG-1 ein zentraler Ansprechpartner für die Stofftransformation von nachwachsenden Rohstoffen hin zu hochwertigen chemischen Stoffen.

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