Ab dem dritten Mal wird es eine gut etablierte Tradition, sagt man. In dem Sinne angewendet treffen sich traditionell alle europäischen Partner, die CANS (Kompakte Beschleuniger-getriebene Neutronenquellen) entwickeln und bauen wollen, mit ausgewählten internationalen Partnern in dem kleinen beschaulichen Dörfchen Unkel am Rhein bei Bonn, um sich gegenseitig auf den neuesten Stand zu bringen und die nächsten koordinierten Schritte zu planen. Wie die letzten beiden Male war ich diesmal auch wieder mittendrin und werde die Gelegenheit nutzen, davon zu berichten.

Also, was gibt es Neues? “Die Ungarn” haben ein Wirtschaftsförderprogramm zugesprochen bekommen und werden für ca. 4M€ eine CANS in Budapest bauen. Das Grundstück ist gekauft, das Gebäude vom Architekten geplant und die Ausschreibung für den Teilchenbeschleuniger läuft. Laut Plan soll die Quelle bis Ende 2020 stehen und dann primär für Tests von kommerziellen Neutronenleitern genutzt werden. Das ganze ist nämlich ein Wirtschafts- und keine Wissenschaftsprojekt. Derzeit werden Neutronenleiter an den großen Reaktorquellen getestet, was ca. 10-15k€ pro Tag kostet. Wenn man nun das ganze an eine eigene Quelle auslagern würde, dann spart man ca. 100k€ pro Monat, so dass sich die Quelle in weniger als 10 Jahren rentiert hat… aus Wirtschaftssicht eine gute Investition.

A propos gute Investition: “Die Franzosen” haben aus mehreren verschiedenen Projekten ein wissenschaftliches Budget eingeworben, was nun die Startfinanzierung des SONATE-Projektes darstellt. SONATE soll ihren Dienst als Prototyp mit reduzierter Leistung bis 2020 aufnehmen, um dann einigen ausgewählten Anwendungen einen direkten Übergang nach dem Abschalten des Pariser Forschungsreaktors Orphé zu gewährleisten. Je nachdem, ob in diesem Zeitraum dann die entsprechenden Gelder für den weiteren Ausbau aufgetrieben werden können, würde dann der Teilchenbeschleuniger IPHI ausgebaut werden und in eine neues Gebäude umziehen (müssen), in dem dann genug Platz ist, um mehrere Targetstationen und Instrumente aufzubauen.

Gruppenphoto des 3. CANS Workshop

Gruppenphoto des 3. CANS Workshop

“Die Deutschen” waren auch nicht untätig, haben wahrscheinlich die Partikelfrage geklärt und schon mal einen kalten Moderator gebaut und in Betrieb genommen. Was finanzielle Unterstützung angeht, haben wir leider noch nichts Nennenswertes vorzuweisen, außer hier und da ein paar neue Stellen und Mitarbeiter. Aber es gibt das JAIME-Projekt mit dem auch Deutschland eine nennenswerte Chance hätte, noch in 2020 eine eigene CANS zu bekommen. Doch davon werde ich auch auf jeden Fall noch mal in einem eigenen Artikel berichten.

Die Spanier, Schweizer und Dänen hatten auch kleine Fortschritte zu berichten und die Japaner, die wir ja gerade erst besucht hatten, haben ebenfalls eine neue kalte Quelle in Betrieb genommen. Es geht also voran.

Was nicht geklappt hat, war unser gemeinsames EU-Projekt CANS4EU, welches nicht unter den Top10-EU-Kooperationsprojekten gelandet ist und damit erst mal nicht mit EU-Geldern gefördert wird. Das ist schade, aber eine Chance gibt es noch. Wegen des großes Zuspruches zu dem Projekt (mehr als 40 Bewerbungen) wird derzeit überlegt, den Finanzrahmen auszubauen (zu verdoppeln) und dann noch die nächsten 10 Projekte auf der Liste ebenfalls zu fördern. Da wären wir auch mit dabei und das entsprechende Budget wäre sicher hochwillkommen. Währenddessen haben wir beschlossen auf welche weiteren Projekte wir uns gemeinsam (mit 7+ europäischen Teilnehmern) bewerben wollen, so dass es bald wieder heißt: Anträge schreiben (Urgs).

Tja, also erst mal nichts wirklich Weltbewegendes und keine richtig großen Ankündigungen, aber weitere wichtige Schritte in die Zukunft der Neutronennutzung in Europa. In den letzten beiden Jahren haben wir den Wagen ins Rollen bekommen und dieses Jahr freudig feststellen können, dass er ordentlich Geschwindigkeit und Schwung aufnimmt. Ich freue mich sehr, an vorderster Front mit dabei sein zu können, auf dem Kutschbock sozusagen, und werde mein Möglichstes tun, um auch weiter live von der Fahrt zu berichten.

3K0A0129Wenn wir schon mal auf der anderen Seite der Welt sind, dann können wir ja auch noch gerade mal in Korea vorbeischauen und dort auf eine Konferenz gehen. Naja, ehrlich gesagt haben wir unsere Japanreise natürlich schon so geplant, dass sie mit der größten Neutronenstreukonferenz der Welt, die alle vier Jahre stattfindet, zusammenfällt und diesmal war es eben im Sommer 2017 in Daejeon, Korea.

Konferenz für Neutronenstreuung heißt hierbei, dass es sich hauptsächlich um die Anwendung von Neutronenstrahlen dreht. Also die Instrumente, die an einer solchen Quelle betrieben werden können und die konkrete Wissenschaft, die damit gemacht werden kann. Ich saß z.B. in einem Vortrag zu dem Multiferroikum MnWO4 (bzw. Hübnerit), wo neue Erkenntnisse zu dessen magnetischer Struktur vorgestellt wurden. Denn wie manch andere multiferroische frustrierte Spinsysteme auch, erzeugt dieses Material eine Spinspirale, die besonders gut mit polarisierten Neutronen erforscht werden kann und mit der man z.B. elektronische Speicher und Quantencomputer der Zukunft herstellen könnte – Grundlagenforschung also.

3K0A1142Aber auch wir hatten mit unserer neuen Art Neutronenquelle dort einen festen Platz und waren recht beliebt bei den ganzen Forschern, die sich fragen, wo sie denn in Zukunft ihre Neutronen herbekommen sollen. Bei den vielen Beiträgen sind die Vortrags-Slots entsprechend hart umkämpft und ich hatte diesmal leider keinen Vortrag bekommen, sondern musste mich mit einem Poster begnügen. Nur einer aus unserem Team durfte letztendlich unsere Neutronenquelle dort auf der Bühne vorstellen und wir anderen mussten auf Laufkundschaft an unseren Postern warten. Davon gab es dann allerdings recht viele und mein Poster hat dann letztendlich auch den “Best Poster Award” gewonnen. Eine Tatsache, die ich aber wohl wesentlich mehr Jakob Müller und seinen tollen Zeichnungen zu verdanken habe als meinen bescheidenen “Grafik-zusammenstöpsel”-Kenntnissen. Da das Poster sowieso schon seinen Weg in die Öffentlichkeit gefunden hat, will ich es euch natürlich auch nicht vorenthalten und habe es daher der Vollständigkeit hier noch einmal hochgeladen (ICNS2017PP).

Blick in die Neutronenleiterhalle des HANARO Forschungsreaktors

Blick in die Neutronenleiterhalle des HANARO Forschungsreaktors

Zu der Konferenz selber gehörte auch noch eine Tour durch den Forschungsreaktor HANARO in Daejeon, der eigentlich, genauso wie der FRM-2 in Garching, hauptsächlich als Neutronenquelle für Streuexperimente von Physikern, Chemikern und Biologen dient. Im Gegensatz zu Garching ist der Reaktor aber ein Jahr nach dem Reaktorunfall von Fukushima abgeschaltet und seitdem nicht wieder hochgefahren worden. Wer also Angst vor Kernreaktoren für eine typisch deutsche Errungenschaft gehalten hat so wie ich z.B., der kann an diesem Beispiel lernen, dass dies vor allem im asiatischen Raum in China, Japan und eben Korea auch ein großes politisches Thema ist. Teilweise sogar wesentlich mehr als in Deutschland, wo mMn nach dem beschlossenen Atom(energie)ausstieg eine Menge Dampf aus dem Kessel gelassen wurde.

sticker

Anti-Spionage-Sticker der koreanischen Atomenergiebehörde

Dies war wahrscheinlich auch einer der Gründe für die wirklich erhöhten Sicherheitsrichtlinien, die wir für den Besuch über uns ergehen lassen mussten. Eine vorherige Akkreditierung mit Backgroundcheck war genauso nötig wie ein Überkleben aller Handykameras mit entsprechenden Stickern und das in dem Land, in dem gefühlt jeder Kühlschrank über ein Touchpad mit WLAN und Kamerafunktion verfügt. Die Chinesen waren da bei unserem Besuch ein halbes Jahr vorher wesentlich entspannter – hmm, so what.

Ich fürchte, mit dem Land Korea werde ich nicht so wirklich warm. Die Dichte an amerikanischen Fastfoodläden von McDonalds über Starbucks bis hin zu PizzaHut ist gefühlt größer als in Miami und Bier und Chicken (im KFC-Style) als aktuell beliebtestes Essen ist auch nichts, mit dem ich mich wirklich anfreunden kann… oder für das ich zumindest nicht um die halbe Welt reisen muss. An den wenigen Abenden, an denen wir nicht auf der Konferenz versorgt wurden, haben wir zwar schon traditionell Koreanisch gegessen (in den entsprechenden Restaurants, wo wir die einzigen Ausländern waren), aber besser (oder exotischer) als im Bulgogi Haus in Köln-Weidenpesch war das jetzt auch nicht. Das selbstgemachte Kimchi, das ich hier in meinem Kühlschrank habe, ist genauso gut wie das in Korea und der einzige Unterschied ist offensichtlich, dass ich es zuhause nicht mit der Schere schneide.

Ich habe noch in einem koreanischen Brautmodengeschäft einen Gat (traditioneller dummer Hut) gekauft, den dann aber leider im Hochgeschwindigkeitszug nach Seoul (die echt überall auf der Welt besser sind als in Deutschland) liegen lassen. Die Herausforderung mit dem Reiskocher habe ich lieber direkt sein gelassen und versuche mein Glück dann wohl lieber in Japan, wenn bzw. falls ich da noch mal hinkomme.

Gerade war ich in Japan bei unseren Kollaborationspartnern am Forschungsinstitt RIKEN, um zu fragen, ob ich mir mal ihren Teilchenbeschleuniger ausleihen darf… Irgendwie scheint das ein regulärer Teil meiner Arbeit zu werden, bei fremden Leuten aufzutauche,n um mit großen Kulleraugen um Strahlzeit zu betteln. Naja, gibt Schlimmeres, aber fangen wir mal vorne an zu erzählen.

Also RIKEN ist ein Forschungszentrum – ganz ähnlich wie Jülich – das sich auf Kernphysik spezialisiert hat. Vor kurzem haben sie mit dem extrem starken Teilchenbeschleuniger dort das neue Element Nihonium gefunden… naja eigentlich haben sie (innerhalb von mehreren Jahren) “drei Ereignisse” nachgewiesen (also sie konnten insgesamt 3 Atome produzieren und messen), was unter Kernphysikern offensichtlich ausreicht, um ein neues Element zu entdecken.

Aber ich bin ja Festkörperphysiker und habe davon nur sehr wenig Ahnung und war deswegen auch gar nicht da. Ich war vor Ort, um mit der Neutronengruppe zusammenzuarbeiten und ihren kleinen Teilchenbeschleuniger samt Neutronenquelle zu benutzen. Diese Neutronenquelle, RANS (RIKEN Accelerator-driven Neutron Source), ist eigentlich genau das, was wir im HBS-Projekt in Deutschland auch für Universitäten bauen wollen. Teilchenbeschleuniger, Neutronentarget und Instrument sind zusammen nur ca. 15 Meter lang und ca. 2m breit. Trotzdem produzieren sie ca. 10^9 n/s, von denen 10^5 n/s an der Probe ankommen und genutzt werden können. Das reicht für spezialisierte Fragestellungen durchaus aus, um aktuelle Wissenschaft zu betreiben und genau dies wollen wir, wie schon öfter hier erwähnt, auch an deutschen Universitäten verbreiten.

Nun gehen an der Stelle unsere Absichten aber schon etwas auseinander. Wir in Jülich wollen immer präzisere Neutronenquellen bauen, so dass wir viel mehr Neutronen auf eine Probe fokussieren können. Die Leute von Riken allerdings wollen ihre Quelle mit dem Teilchenbeschleuniger sogar noch weiter verkleinern, um sie auf einen LKW bauen zu können. Denn falls so eine Quelle transportabel wird, dann könnte man sie benutzen um Brücken und ähnliche Betonkonstruktionen damit zu durchleuchten. Dies ist nämlich einer der weiteren großen Vorteile von Neutronen. Während Röntgenstrahlen – vor allem die von Laborquellen – nur wenige mm in Materialien eindringen können, so können Neutronenstrahlen ohne größere Probleme auch durch meterdicke Beton oder Stahlkonstruktionen hindurchgehen.

Konzept einer Neutronenquelle zum Durchleuchten von Brücken und ähnlichen Strukturen

Die Japaner haben nämlich ein Problem. Während des japanischen Wirtschaftswunders nach dem 2. Weltkrieg wurden sehr viele Brücken gebaut, die nun, nachdem die entsprechenden Jahrzehnte ins Land gegangen sind, Risse, Wassereinlagerungen und andere Schwachstellen bekommen. Dabei ist die Diagnose erstaunlich schwierig, denn Ultraschall und Röntgen kann man nur sehr lokal einsetzen und ansonsten kann man nur gucken, ob sich auf der Oberfläche irgendwelche Risse bilden. Daher hatte die Gruppe aus RIKEN eben die tolle Idee dafür Neutronenstrahlen einzusetzen, woran jetzt seit einigen Jahren gearbeitet wird.

Naja, langer Rede kurzer Sinn, ich darf gerne ihre Neutronenquelle für meine Versuche benutzen und muss jetzt nur noch meinen Chef davon überzeugen mich mit meinem ganzen Equipment um die halbe Erde zu karren… obwohl dort alles voll von aggressiven Rehen ist.

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Mein Votrag im japanischen Theater mit der neuesten Pyramide von Jacob Müller

Das ist dann auch schon direkt die Überleitung zu dem anderen Grund meiner Reise nach Japan: Eine Spezialistenkonferenz über Neutronenoptiken, oder kurz NOP. Die fand in Nara/Japan in einem malerischen Tempelbezirk mit japanischem Garten und besagten heiligen Rehen (eigentlich Sikahirsche s.u.) statt und beschäftigte sich nahezu ausschließlich mit der gezielten Extraktion und Verwendung von Neutronen. Kalte Neutronen haben nämlich einen riesigen Vorteil gegenüber thermischen Neutronen und vielen anderen Partikelstrahlen. Wenn ihre Energie abnimmt, dann bekommen sie gewisse Eigenschaften, die man sonst eher nur von sichtbarem Licht kennt wie z.B. die Totalreflektion. Neutronen kann man z.B. an einem Spiegel unter einem bestimmten Einfallswinkel spiegeln und wenn man nun einen Leiter aus solchen spiegelnden, beschichteten Glasflächen produziert, kann man Neutronen quasi wie bei Lichtwellenleitern und Glasfasern transportieren. Darüber hinaus kann man auch Sammellinsen einsetzen und die Neutronen polarisieren, aber das führt an dieser Stelle ein wenig zu weit. Unter anderem auch, weil diese Techniken wirklich die “leading edge” Technologie in der Neutronenphysik sind und sich da noch vieles erst etablieren muss, bevor ich hier sicher davon reden kann.

Kurz bevor wir nach Tokyo gefahren sind, haben es mein Kollege und ich es auch noch geschafft auf den Fujisan, Japans höchsten (Vulkan)Berg, zu klettern. Wir haben den Aufstieg am ersten Tag der Saison gewagt, als der Weg gerade aufgemacht wurde und wurden dafür mit eisigen Temperaturen am Nullpunkt (in Tokyo 35°C), eisigen Winden und geschlossenen Schreinen belohnt 😉 . Aber es hat sich trotzdem sehr gelohnt und der Pilgerweg dort hinauf ist auf jeden Fall eine Erfahrung wert.

Als Deutscher habe ich mich in Japan auf jeden Fall sehr wohl gefühlt und auch (oder vor allem) auf Wissenschaftsebene haben wir dieselben Einstellungen. Ich hoffe sehr, dass wir auch in Zukunft unsere Zusammenarbeit wie geplant fortsetzen können und zusammen die brillianten Neutronenquellen der Zukunft für Jedermann bauen können

PS:

Eins
Zwei
Drei
Vier