Bild oder Spiegelbild? Können wir eine Welt von einer Spiegelwelt unterscheiden? Unsere Erfahrungen mit dem täglichen Blick in den Spiegel scheinen eher für ein „Nein“ zu sprechen und in der Tat glaubte man das auch lange Zeit: alle Naturgesetze schienen symmetrisch bzgl. einer Spiegelung zu sein. Dass dem nicht so ist, wurde erst 1956 von Chien-Shiung Wu in dem nach ihr benannten Wu-Experiment gezeigt.
Aber Moment mal, wird jetzt vielleicht der ein oder andere sagen, wir brauchen doch z.B. nur ein paar Leute zu fragen, auf welcher Seite sie ihr Herz haben und schon ist die Sache klar. Nun gut, aber die Evolution hätte sich auch genauso gut anders entscheiden können: es gibt kein Naturgesetz, das bestimmt, auf welcher Seite unser Herz sein muss. Um auf der Ebene der Naturgesetze Unterschiede zu sehen, müssen wir schon ganz genau hinschauen und eine Kraft bemühen, die wir im Alltag normalerweise nicht direkt zu spüren bekommen: die schwache Wechselwirkung. Bekannt ist sie hauptsächlich durch die Zerfälle von Atomkernen und einen solchen hat auch Frau Wu genauer unter die Lupe genommen: den Zerfall von 60Co (einem Kobalt Atom mit 27 Protonen und 33 Neutronen) in 60Ni (einem Nickel Atom mit 28 Protonen und 32 Neutronen) unter Aussendung eines Elektrons und eines Antineutrinos („Beta-Zerfall“) – in diesem Prozess wird ein Neutron in ein Proton umgewandelt. Zusätzlich hat sie aber auch noch etwas anderes getan: 60Co hat einen Eigendrehimpuls (Spin), und sie hat diese Spins mit Hilfe eines Magnetfeldes alle in eine Richtung ausgerichtet.
„Eigendrehimpuls“ bedeutet einfach ausgedrückt, dass sich alle diese Atome wie ein Kreisel um sich selbst drehen – und alle Atome derselben Art in gleichen Maße. Diese Rotation wird meist durch einen Pfeil auf der Drehachse beschrieben. Die Richtung des Pfeils ist die, in die sich eine normale Schraube bewegen würde, würde man sie in Richtung der Rotation drehen. Die Richtung des Pfeils wird in diesem Fall auch als Spinrichtung bezeichnet.
Ab hier könnte es jetzt etwas trocken werden. Wir müssen da jetzt aber durch um am Ende zu verstehen, warum es so interessant ist elektrische Dipolmomente zu suchen. Die Abbildung links vermittelt einen Eindruck der Beobachtung: die Elektronen werden vorzugsweise in die Richtung des Spins emittiert. Schaut man sich das ganze im Spiegel an, hat man eine verkehrte Welt, die so nicht existiert. Genau genommen ist dieses Bild aber nicht ganz richtig: wenn wir von „Spiegeln“ reden, meinen wir in der Physik keine Spiegelung an einem Flächenspiegel, sondern eine Punktspiegelung. Bei dieser dreht sich nicht der Spin als Rotationsvektor um, sondern der Richtungsvektor der Elektronen. Das Ergebnis ist in diesem Fall aber ähnlich: Die schwache Wechselwirkung verletzt die Spiegelsymmetrie (Parität oder kurz P) maximal.
Neben der räumlichen Spiegelung gibt es noch zwei andere, grundlegende Arten von Spiegelungen, die in der Physik eine Rolle spielen: Ladungskonjugation (C-Parität oder kurz C) und die Zeitumkehr (T). Die Ladungskonjugation bewirkt durch die Spiegelung aller Ladungen einen Austausch von Teilchen und Antiteilchen. Auch hier spielt die schwache Wechselwirkung nicht mit: der Spin von Neutrinos ist immer antiparallel zur Flugrichtung („linkshändig“) und der von Antineutrinos parallel („rechtshändig“). Da die C-Parität aus einem Neutrino ein Antineutrino macht, ohne Spin oder Richtung zu ändern, produziert sie nicht-existente linkshändige Antineutrinos. Damit das alles wieder stimmt, braucht es noch einen Spiegel: C und P zusammen (kurz CP) ist dann wieder eine funktionierende Symmetrie.
Aber man ahnt es schon: eine Symmetrie ohne Makel ist ein Dorn im Auge eines Physikers und es gibt nichts Verlockenderes als die Natur der Unvollkommenheit zu überführen. Und richtig, bereits 1964 wurde entdeckt, dass der Zerfall neutraler Kaonen zu einem kleinen Bruchteil die CP-Symmetrie verletzt. Und vor etwa 10 Jahren wurde die CP-Verletzung auch für die schwereren B-Mesonen beobachtet.
Aber auch bei der CP-Verletzung lässt sich durch eine weitere Spiegelung wieder „in Ordnung bringen“: dreht man auch noch die Zeitachse um, ist die Natur wieder mit sich selbst im Reinen. Eine Verletzung der Kombination von C,P und T wurde bis heute nicht beobachtet und es ist eine allgemein anerkannte Annahme, dass die Natur invariant gegenüber CPT ist (CPT-Theorem).
An dieser Stelle sind wir wieder da, wo alles im Beitrag „Viel Lärm um ‚Nichts‘“ angefangen hat: bei der Materie-Antimaterie-Asymmetrie im Universum. Schon 1967 merkte Andrei Sacharov an, dass CP-Verletzung eine Voraussetzung für das Entstehen dieser Asymmetrie ist. Bis heute gibt es da allerdings eine kleines Problem: die CP-Verletzung, die wir kennen und die Bestandteil unseres Standardmodells der Teilchenphysik ist, ist bei weitem nicht stark genug. Deswegen sind Präzisionsexperimente auf der Suche nach bisher unbekannten Mechanismen der CP-Verletzung ein sehr aktives Feld in der heutigen Teilchenphysik, mit denen nicht nur der Materieüberschuss im Universum erklärt werden soll, sondern die auch gleichzeitig sehr sensitive Tests für Physik jenseits des Standardmodells sind (wie Supersymmetrie oder String-Theorie). Sie sind damit auch komplementär zu den Hochenergieexperimenten, die an den großen Beschleunigern wie CERN oder Fermilab durchgeführt werden.
Das ist jetzt nun doch etwas länger geworden als es eigentlich geplant war. Was elektrische Dipolmomente mit CP-Verletzung zu tun haben und was hier die grundlegenden Herausforderungen sind, verschiebe ich daher doch auf den nächsten Beitrag.
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