Wer meine Beiträge bis hier aufmerksam gelesen hat, dem wird vielleicht etwas aufgefallen sein. Einerseits habe ich geschrieben, dass wir elektrische Dipolmomente messen wollen und dass man hierzu starke elektrische Felder braucht, andererseits ist der Beschleuniger und Speicherring COSY – an dem wir unsere technischen Entwicklungen testen und erste Messungen am Deuteron durchführen wollen – ein rein magnetischer Ring. Wie passt das zusammen?

Nun, seit Einstein wissen wir ja, dass alles relativ ist. Das gilt auch für elektrische und magnetische Felder und ist vom Prinzip her auch relativ einfach zu verstehen. Stellen wir uns einmal vor, ich platziere irgendwo eine geladenes Objekt im Raum. Um die Ladung herum entsteht dann ein elektrisches Feld. Wenn ich mich nun in Bewegung setze und mich relativ zu dieser Ladung bewege, kann man das umgekehrt auch so sehen als würde sich die Ladung relativ zu mir bewegen.  Und da eine bewegte Ladung ein Strom ist und dieser ein Magnetfeld erzeugt, sehe ich nun nicht nur ein elektrisches, sondern auch ein magnetisches Feld.  Wenn nun das, was ich in meiner Bewegung sehe und das, was ein ruhender Beobachter sieht, zusammenpassen soll, müssen die Erzeugung und die Wirkung von elektrischen und magnetischen Feldern also irgendwie zusammenhängen. Das ist das Relativitätsprinzip: kein Bezugssystem ist ausgezeichnet, in jedem gelten die gleichen Naturgesetze.

Der Zusammenhang zwischen elektrischen und magnetischen Feldern und deren Erzeugung wurden bereits Mitte des 19. Jahrhunderts von James Clerk Maxwell mit einem Satz von Gleichungen beschrieben, die heute als Maxwell-Gleichungen bekannt sind. Zusammen mit der Beschreibung der elektrischen und magnetischen Kraft auf Ladungen (Lorentzkraft) bilden sie die Grundlage für die Beschreibung des Elektromagnetismus und der Elektrodynamik. Und obwohl sie entstanden sind lange bevor Einstein seine Relativitätstheorie formulierte, stehen sie mit dieser völlig im Einklang: die Form der Gleichungen ändert sich nicht, egal in welchem Bezugssystem man sich befindet und wie schnell man sich bewegt. Das ist nicht selbstverständlich – wenn wir uns z.B. die Gleichungen anschauen, mit denen wir Geschwindigkeit, Beschleunigung und zurückgelegte Strecken im Alltag beschreiben (die sogenannte Newtonsche Mechanik), dann stellen wir fest, dass es bei großen Geschwindigkeiten Abweichungen gibt. Sie stellen lediglich einen Spezialfall für kleine Geschwindigkeiten dar und müssen in allen anderen Fällen durch die Gleichungen der Speziellen Relativitätstheorie ersetzt werden.

Elektrischer Ring zur Speicherung geladener Teilchen. Die inneren und äußeren Platten sind entgegengesetzt geladen und erzeugen ein elektrisches Feld. (Bild: VH)

Elektrischer Ring zur Speicherung geladener Teilchen. Die inneren und äußeren Platten sind entgegengesetzt geladen und erzeugen ein elektrisches Feld. (Bild: VH)

In der Praxis hat das natürlich Auswirkungen auf die Planung und die Durchführung unserer Experimente. Wir wissen, dass das magnetische Moment eines Teilchens mit Magnetfeldern und das elektrische Moment mit elektrischen Feldern wechselwirkt. Wenn man nun einen rein elektrischen Speicherring bauen würde (so wie ich ihn in einem früheren Beitrag schon erwähnt habe und wie er in der linken Abbildung zu sehen ist), dann könnte man naiv annehmen, dass ich an das magnetische Moment der gespeicherten Teilchen keinen Gedanken verschwenden muss – schließlich gibt es auf den ersten Blick keine magnetischen Felder. Das wäre praktisch, denn dann könnte ich mich ganz auf die Messung der Spinpräzession aufgrund des elektrischen Dipolmoments konzentrieren und keine anderen Effekte würden die Messung stören. So einfach ist das aber nicht.

Präzession im elektrischen Feld aufgrund eines EDMs (Bild: VH)


Präzession im Magnetfeld des bewegten Teilchens aufgrund eines magnetischen Dipolmoments (Bild: VH) Präzession im elektrischen Feld aufgrund eines EDMs (oben) und im Magnetfeld des bewegten Teilchens aufgrund eines magnetischen Dipolmoments (unten). (Bilder: VH)

Natürlich wird es eine Präzession des Eigendrehimpulses (Spin) aufgrund des elektrischen Dipolmoments im elektrischen Feld E geben. Diese bewirkt, dass sich der Spin aus der horizontalen Ebene in die vertikale dreht. Das ist das Signal, dass wir beobachten wollen (linke Abbildung, oben). Gleichzeitig sieht das Teilchen aufgrund seiner Bewegung (in der linken, unteren Abbildung mit „v“ gekennzeichnet) auch ein  magnetisches Feld B*. Aufgrund des (sehr viel stärkeren) magnetischen Dipolmoments des Teilchens setzt daher auch eine Präzession um die vertikale Achse ein, die den Spin seitlich aus der Bewegungsrichtung bewegt. Die Stärke und Richtung dieser Bewegung hängt von der Geschwindigkeit des Teilchens ab und von der Stärke und dem Vorzeichen des magnetischen Moments (also ob es parallel oder antiparallel zum Spin steht). Diese Drehung stört natürlich unsere Messung, da der Aufbau des Messsignals (oben) nur dann stattfindet, wenn der Spin in Flugrichtung ausgerichtet ist und es auch bleibt. Die gute Nachricht ist, dass es für Protonen in einem elektrischen Ring eine ganz bestimmte Geschwindigkeit gibt, bei der diese Drehung mit dem Umlauf der Teilchen synchron ist: der Spin zeigt immer in Flugrichtung. Die schlechte Nachricht ist, dass das für Deuteronen nicht funktioniert (mehr dazu am Ende des Artikels).

Bereits an dieser Stelle kann man drei der grundlegenden Herausforderungen an die Messmethode erkennen:

  1. Wir müssen die Präzession aufgrund des magnetischen Dipolmoments unter Kontrolle haben. Das geht nur über eine permanente Messung und eine präzise Einstellung des Beschleunigers.
  2. Alle Teilchen müssen sich genau gleich verhalten. Insbesondere die Spinbewegungen müssen synchron sein. Das bedeutet im Idealfall identische Geschwindigkeiten und – da der Teilchenstrahl eine gewisse seitliche Ausdehnung hat – sehr gleichmäßige (homogene) Felder.
  3. Sollten die Feldrichtungen nur leicht gegen die Ebene, in der sich das Teilchen bewegt, verkippt sein, verkippt auch die Drehachse und die Präzession aufgrund des magnetischen Moments führt ebenfalls zu einer Bewegung des Spins aus der horizontalen Ebene hinaus – und liefert ein falsches Signal für unsere Messgröße.
Ein magnetischer Speicherring. Die magnetischen Felder halten die geladenen Teilchen auf einer Kreisbahn. (Bild: VH)

Ein magnetischer Speicherring. Magnetische Felder, die durch Spulen erzeugt werden, halten die geladenen Teilchen auf einer Kreisbahn. (Bild: VH)

Die technischen Herausforderungen, die sich hier stellen, sind enorm und mögliche Lösungen gehen teilweise weit über aktuelle Standards hinaus. Neue Konzepte müssen entwickelt, neue Geräte gebaut und alles zusammen getestet werden. Das Problem ist nur, dass es keinen elektrischen Ring gibt, den man für diese Entwicklungen nutzen könnte. Was wir haben, ist ein magnetischer Ring wie er – analog zum elektrischen Ring oben – schematisch in der rechten Abbildung gezeigt ist. Aber auch hier gilt: es gibt nicht nur den direkten Effekt über das Magnetfeld, sondern auch einen Effekt über das elektrische Feld, dass das bewegte Teilchen in seinem Bezugssystem sieht.

Präzession im Magnetfeld aufgrund des magnetischen Dipolmoments (Bild: VH)


Präzession im bewegten elektrischen Feld aufgrund des EDMs (Bild: VH) Präzession im Magnetfeld aufgrund des magnetischen Dipolmoments (oben) und im bewegten elektrischen Feld aufgrund des EDMs (unten). (Bilder: VH)

Die Abbildungen rechts sind im Prinzip dieselben wie oben, nur dass hier magnetisches und elektrisches Feld vertauscht sind. Es gibt allerdings einen Unterschied: weder für Protonen noch für Deuteronen kann man den Beschleuniger so einstellen, dass sich die Präzession aufgrund des magnetsichen Dipolmoments im Bezugssystem der Teilchen aufhebt und der Spin immer in die Bewegungsrichtung zeigt. Ansonsten habe ich aber die gleichen Herausforderungen wie oben und ähnliche Anforderungen an Messmethoden, Genauigkeiten und Feldqualitäten. Schon alleine das versetzt uns in die Lage sehr viele Vorarbeiten und Studien für einen dedizierten EDM Ring durchführen zu können ohne einen solchen neuen Ring erst bauen zu müssen – insbesondere letzteres ist natürlich auch Kostenfrage.

Allerdings ist das nicht alles. Wir haben eine Methode entwickelt, wie wir ein elektrisches Dipolmoment auch mit COSY messen können – zwar bei weitem nicht mit der Genauigkeit, die wir für einen dedizierten EDM-Ring im Auge haben, aber immerhin eine erste Messung. Dies würde für Deuteronen die erste EDM-Messung überhaupt sein und für Protonen eine erste direkte Messung (bisher wurden die Messungen neutraler Atome auf Protonen zurückgerechnet) – Priorität hat die Messung am Deuteron. Einfach erklärt funktioniert die Methode wie folgt. Der Grund, warum ein EDM in einem magnetischen Ring keine Rotation des Spins in die Vertikale bewirkt, ist der, dass durch die Präzession in der Horizontalen der Spin genauso oft in Flugrichtung zeigt wie entgegen der Flugrichtung. Und bei letzterem wird der Spin aus der Vertikalen wieder zurückgedreht (wenn man in der unteren Abbildung oben den Teilchenspin nach hinten dreht sollte das klar werden). Wir wollen nun ein weiteres Gerät in den Ring einbauen (einen sogenannten RF-Wienfilter – nur um den Namen zu nennen), dass über eine Kombination von einem magnetischen und einem elektrischen Feld einen kleine, zusätzliche horizontale Drehung pro Umlauf erzeugt, so dass der Spin öfter nach vorne als nach hinten zeigt (oder umgekehrt). Eine genauere Erklärung wird vielleicht in einem der nächsten Beiträge folgen, wenn Einbau und Test dieses Gerätes anstehen. Die Herausforderungen liegen hier natürlich wieder in der Genauigkeit der Felder. Es kommt aber hinzu, dass die Feldstärken kontinuierlich der Spinrichtung angepasst werden müssen. Das heißt, wir müssen nicht nur die (mit etwa 120 kHz rotierende) Spinrichtung messen, sondern diese auch zur Steuerung des Beschleunigers nutzen. Erste Tests dazu konnten wir Ende letzten Jahres erfolgreich durchführen. Auch hierzu demnächst mehr.

Zum Schluss noch eines: Ich habe oben geschrieben, dass man weder in einem elektrischen, noch in einem magnetischen Ring die Einstellungen so wählen kann, dass bei Deuteronen der Spin immer in Flugrichtung zeigt. Der Trick ist beides zu kombinieren: wenn ein Ring aus elektrischen und magnetischen Feldern besteht kann man für alle Teilchensorten eine Kombination aus Feldstärken und Geschwindigkeit finden, bei der das der Fall ist. Ein solcher kombinierter Ring wäre das Schweizer Taschenmesser für EDM Messungen geladener Teilchen.

Ich hoffe, das war jetzt nicht zu kompliziert und zu verwirrend, aber um zu verstehen wie komplex und wie spannend unsere derzeitigen Arbeiten sind, lässt es sich nicht vermeiden hier etwas tiefer zu gehen. Ansonsten möchte auch nochmal auf den Tag der Neugier des Forschungszentrums am 5. Juni hinweisen. Vielleicht sehen wir uns ja.

About Volker Hejny

Volker Hejny ist Wissenschaftler am Institut für Kernphysik und arbeitet seit einiger Zeit innerhalb der JEDI Kollaboration an der Möglichkeit permanente elektrische Dipolmomente (EDMs) von Protonen und Deuteronen mit der Hilfe von Speicherringen zu messen, um damit zu erklären, wieso es im Universum fast nur Materie, aber kaum Antimaterie gibt.

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