Den sogenannten RF Wien-Filter habe ich nun schon ein paar Mal erwähnt und auch, dass er eine entscheidende Rolle bei unseren zukünftigen Messungen spielt. Es wird daher Zeit, dass ich etwas genauer erkläre, was das ist und für was wir ihn brauchen.
Leider wird es jetzt wahrscheinlich etwas trocken. Wenn ich aber erklären möchte, was wir tun, dann sollte auch klar sein, warum das so ist. Beim nächsten Mal sollte es dann aber wieder etwas mehr experimenteller und anschaulicher werden.
Zunächst – auch weil es schon so lange her ist – vielleicht erst noch einmal eine kurze Rekapitulation. Als Leser sollte man aus den Hintergrundartikeln, die ich hier nochmal aufgelistet habe, folgendes mitgenommen haben:
- Unser Universum besteht fast ausschließlich aus Materie, was die Frage nach dem Schicksal der Antimaterie aufwirft, die nach dem Urknall zunächst in gleicher Menge entstanden sein sollte.
- Die aktuellen Standardmodelle zur Kosmologie und zur Teilchenphysik können diesen Überschuss nicht beschreiben. Dazu ist eine weitaus stärkere Verletzung der sogenannten CP-Symmetrie notwendig als sie bis heute gefunden wurde.
- Eine solche CP-Verletzung hätte auch Auswirkungen auf die Stärke von elektrischen Dipolmomenten (EDM) von – unter anderem – Protonen, Neutronen und Deuteronen. Eine Messung dieser EDMs kann daher zur Messung solcher bisher unbekannte Mechanismen zur CP-Verletzung dienen.
- Ein EDM bewirkt, dass die Spinachse eines Teilchen (also die Achse der Eigenrotation) um die Feldlinien eines elektrischen Feldes präzediert (wie in diesem Video dargestellt, wenn man das elektrische Feld durch die Schwerkraft ersetzt und den Kreisel als Teilchenspin ansieht). Die Geschwindigkeit der Präzession gibt die Stärke des EDMs an.
- Da geladene Teilchen wie Protonen und Deuteronen durch ein elektrisches Feld beschleunigt werden, ist die grundlegende Idee, die Teilchen mittels dieses Feldes auf einer Kreisbahn in einem Speicherring zu halten und dort die Präzession über längere Zeit zu beobachten. Wenn die Spinrichtung parallel zur Flugrichtung des Teilchens gehalten wird, dreht sich der Spin (sehr, sehr) langsam nach oben. „Sehr, sehr langsam“ bedeutet, dass würden wir uns eine 1m lange Spinachse vorstellen, wir im Endausbau messen wollen, wenn sich die Spitze dieser Achse innerhalb eines Jahres um etwa eine Haaresbreite nach oben bewegt hätte! Für die ersten Messungen sind wir natürlich wesentlich genügsamer.
- Ein magnetisches Dipolmoment (MDM), das ebenso an die Kreiselbewegung gekoppelt ist, präzediert analog aufgrund eines angelegten Magnetfeldes. Allerdings ist das MDM um ein Vielfaches (mindestens 1 Billion mal) stärker als das – bisher noch nicht nachgewiesene – EDM.
- Bewegte Teilchen in einem elektrischen (magnetischen) Feld sehen nach der Relativitätstheorie und den Maxwellschen Gleichungen auch ein magnetisches (elektrisches) Feld – nur deswegen kann man für einen rein magnetischen Ring wie COSY auch eine EDM Messung planen.
Sollte davon etwas unklar sein, bitte fragen. Das ist erlaubt.
Was ist nun ein Wien Filter? Bewegte elektrisch geladene Teilchen werden sowohl von elektrischen als auch von magnetischen Feldern abgelenkt. Dabei hängt die Kraft, die in einem magnetischen Feld (B) wirkt, im Gegensatz zum elektrischen Feld (E) von der Geschwindigkeit des Teilchens (v) ab. Außerdem wirkt die Kraft senkrecht zu einem Magnetfeld, aber parallel zu einem elektrischen Feld.Wenn man nun ein Gerät baut, in dem ein elektrisches und ein magnetisches Feld um 90 Grad gegeneinander verkippt sind, sodass die Kräfte der beiden Felder in entgegengesetzte Richtungen wirken, heben sich diese Kräfte bei einer bestimmten Teilchengeschwindigkeit genau auf: Das Teilchen fliegt auf einer geraden Bahn durch diese Anordnung. Ein solcher Geschwindigkeitsfilter nennt sich Wien-Filter und ist im Bild links illustriert. Im unteren Bild ist dabei das Kräfteverhältnis dargestellt. FC (Coulomb-Kraft) steht für die Wirkung des elektrischen Feldes, FL (Lorentz-Kraft) für die Wirkung des Magnetfeldes. Die elektrischen Feldlinien laufen von oben nach unten (dargestellt durch die grauen Pfeile), die magnetischen Feldlinien laufen in die Ebene hinein (dargestellt durch die Kreise mit dem Kreuz, angelehnt an das Bild eines Pfeiles von hinten). Außerdem ist Q die Ladung und v die Geschwindigkeit des Teilchens. Für eine bestimmte Geschwindigkeit sind FC und FL gleich groß, aber entgegengesetzt. Dann fliegt das Teilchen gerade aus (oberes Bild) und trifft das Loch in der Blende. Alle anderen Teilchen werden aussortiert.
Mit Spins und Polarisation hat das Ganze bis dahin noch ziemlich wenig zu tun. Was in dieser Beziehung für uns wichtig ist, ist folgendes: Während die Felder für ein Teilchen mit der richtigen Geschwindigkeit keinen Einfluss auf die Teilchenbahn haben, trifft das nicht auf ihre Wirkung auf das magnetische Moment zu! Und genau machen wir uns zunutze.
Wie früher schon erwähnt, würde man in einem optimalen Speicherring die Bedingungen so wählen, dass der Spin immer parallel zur Flugrichtung steht, um so den größtmöglichen Effekt zu erzielen. Das ist jedoch insbesondere in einem rein magnetischen Ring wie COSY nicht möglich. Stattdessen fängt das Teilchen an, sich aufgrund der Präzession im magnetischen Feld um seine vertikale Achse zu drehen (siehe linkes Bild). Die Präzession ist sehr schnell – bei unseren Experimentbedingungen sind das etwa 120 kHz. Damit funktioniert das Prinzip nicht mehr: Wenn der Spin in Flugrichtung steht, bewirkt ein EDM eine Drehung nach oben, wenn er in entgegengesetzter Richtung steht, eine gleich starke Drehung nach unten. Das hebt sich gegeneinander auf und der Netto-Effekt ist Null. So geht das also nicht!
Da man die Präzession nicht verhindern kann, ist die nächstbeste Lösung, irgendwie dafür zu sorgen das der Spin für längere Zeit in Flugrichtung steht als entgegen der Flugrichtung. Dann wäre der Netto-Effekt nicht mehr Null, da die Drehung nach oben aufgrund des EDMs in der Summe überwiegt. Dazu müsste man erreichen, dass die Präzession verlangsamt wird, wenn der Spin in Flugrichtung zeigt, und beschleunigt, wenn er entgegengesetzt dazu steht.
Hier kommt nun der Wien-Filter ins Spiel. Da er eine zusätzliche Präzession bewirkt, die Teilchenbahn im Beschleuniger aber unverändert lässt, ist er ein ideales Werkzeug. Allerdings können wir keinen einfachen Wien-Filter mit konstanten Feldern nutzen, da wir unterschiedliche Effekte erzielen wollen, je nachdem in welche Richtung der Spin zeigt. Daher setzen wir einen RF Wien-Filter ein, der mit oszillierenden (schwingenden) Feldern arbeitet – das RF im Namen steht für „radio frequency“. Die Schwingungen der elektrischen und magnetischen Felder müssen genau mit der Präzession des Teilchenspins abgestimmt werden, so dass diese am größten sind, wenn der Spin nach vorne zeigt und am kleinsten, wenn er nach hinten zeigt (oder umgekehrt, je nachdem welche Richtung man bevorzugen möchte). Das Titelbild dieses Beitrags auf der Übersichtsseite ist übrigens ein Foto des RF Wien-Filters kurz vor seinem Einbau in COSY.
Das hört sich erst einmal einfach an, ist es aber nicht. Zur Synchronisierung der Wien-Filter Frequenz mit der Spinpräzession muss man letztere natürlich kennen, und zwar nicht nur die Frequenz, sondern auch die Phase (also den Startzeitpunkt wenn der Spin nach vorne zeigt). Und wenn man diese Synchronisation über 1000s (unsere angestrebte Messzeit) aufrechterhalten will, dürfen beide Frequenzen wesentlich weniger als eine Viertel Umdrehung auseinander gelaufen sein. Also müssen beide Frequenzen, die bei 120 kHz und mehr liegen, auf besser als 0.0001 Hz eingestellt und konstant gehalten werden. Insbesondere die Präzessionsfrequenz im Ring hat ohne Eingriffe von außen nicht diese Stabilität, so dass man sie nicht nur messen, sondern auch noch kontrollieren muss. Ich kann aber schon mal verraten, dass wir dieses Problem gelöst haben.
Zunächst einmal wird es beim nächsten Mal mit dem Aufbau und dem Einbau des RF Wien-Filters weitergehen. Dann gibt es auch wieder mehr Bilder.
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