von Prof. Katrin Amunts / english version below / elektronisches Kondolenzbuch
Am 26. April 2020 verstarb unser lieber Freund und hochgeschätzter Kollege, Professor Emeritus Karl Zilles, nach langer und schwerer Krankheit. Karl Zilles war über viele Jahre Direktor des Instituts für Medizin, später des Instituts für Neurowissenschaften und Biophysik und zuletzt des Instituts für Neurowissenschaften und Medizin am Forschungszentrum Jülich. Er leitete lange das C. und O. Vogt Institut für Hirnforschung der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und war damit der zweite Institutsleiter nach den beiden Namensgebern, deren große Tradition er zu neuem Leben erweckte.
Les Fleurs du Mal von Baudelaire, Adolf Wölfli’s erstaunliche und eindrucksvolle Zeichnungen, die Architektur romanischer Kirchen, Arien der Maria Callas, Konzertaufführungen des Alban Berg Quartetts von Schuberts Werken, die wilde Schönheit des Waimea Canyons und der afrikanischen Wüste, Filme wie Zardos oder auch eine fein gefertigte Stanwell – dies sind nur einige Facetten einer reichen, vielfältig interessierten und beeindruckenden Persönlichkeit, die nicht nur auf der Ebene der Neurowissenschaft herausragte, sondern auch sehr kluge, von tiefem Wissen und Humanismus geprägte Gedanken zu einer Vielzahl von Themen beigetragen hat.
Auch wenn der Begriff des Universalgelehrten heute vielleicht ein wenig aus der Mode gekommen sein mag, so charakterisiert er den Menschen Karl Zilles doch recht genau. Er begriff sein Engagement für die Wissenschaft als einen zentralen Teil seines Lebens, er war unglaublich fleißig und produktiv, und mit seiner Kreativität leitete er eine Vielzahl wichtiger Entwicklungen in der modernen Hirnforschung ein.
Nach seinem Studium der Medizin an der der Johann-Wolfgang-Goethe Universität in Frankfurt, gefördert von der Studienstiftung des Deutschen Volkes, ging er als wissenschaftlicher Assistent an das Anatomische Institut der Medizinischen Hochschule in Hannover in die Neuroanatomie und habilitierte dort. Von Beginn an war er davon überzeugt, dass die Hirnforschung messbare Daten und Fakten braucht, um die komplizierten Zusammenhänge in der menschlichen Hirnrinde mit ihren Schichten und Zellsäulen zu verstehen und darüber hinaus. Er war ein Pionier bei der Einführung von Fernsehbildanalysatoren und entwickelte stereologische Verfahren, um die zelluläre Architektur zu enträtseln. Nach Stationen in Kiel und Köln wurde er 1991 Direktor der Neuroanatomie und des traditionsreichen C. und O. Vogt Instituts für Hirnforschung an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf und schließlich 1998 Direktor in Jülich.
Wissenschaftlich noch heute von immenser Bedeutung sind seine grundlegenden Arbeiten und methodischen Entwicklungen zur autoradiographischen Markierung von Rezeptoren für verschiedene Botenstoffe, zu vergleichenden anatomischen Untersuchungen oder auch die Initiierung einer Gruppe zu Polarisationsmikroskopie in Jülich. Aus verschiedenen Forschungskooperationen innerhalb Europas, mit den USA und Kanada heraus entstand die Idee, Wahrscheinlichkeitskarten der zellulären Architektur der Hirnrinde zu entwickeln, um die große individuelle Variabilität in den Hirnkarten abbilden zu können. Damit wurde es möglich, die räumlich präzisen Karten vom menschlichen Gehirn in Atlanten und Datenbanken des menschlichen Gehirns, die mit der sich rasant entwickelnden in-vivo Bildgebung entstanden, zusammen zu führen. Mit seiner Überzeugungskraft, seinem stets in seiner Tiefe und Breite erstaunendem Fachwissen, aber auch seiner Fähigkeit, auf andere Menschen zuzugehen und sie zu gewinnen, hat er wesentlich dazu beigetragen, dass sich dieser Bereich der Forschung so stürmisch entwickeln konnte. Ein bis heute anhaltender Gradmesser dieser seiner Motivationsstärke ist die Organisation for Human Brain Mapping, die in ihren jährlichen Kongressen mehr als 3000 Teilnehmer versammelt. Auch hier wirkte er an führender Stelle und leitete zeitweise als Chair deren Council.
Jülich bot die große Perspektive eines allumfassenden Zugangs zur Hirnstruktur und Funktion vor Ort und ermöglichte es ihm, die Neurobildgebung als „Fenster“ in das lebende Gehirn aufzubauen und die verschiedenen zeitlichen und räumlichen Aspekte seiner Organisation zusammen zu führen. Es entstand ein breites Spektrum an Arbeitsgruppen, von denen sich viele in Institutsbereiche entwickeln konnten. Nicht wenige seiner Doktoranden, Mitarbeiter und Gastwissenschaftler sind heute Lehrstuhlinhaber oder an anderer Stelle in leitenden Positionen tätig. Er hat mehr als nur eine Generation von Wissenschaftlern gefördert, gefordert und geprägt, aber immer vor dem gleichen hohen Anspruch, den er an sich selbst gestellt hat.
Sein wissenschaftlicher Weg und seine große Reputation führten ihn in viele verantwortungsvolle Positionen – so als Sprecher eines Sonderforschungsbereiches in Düsseldorf und eines Forschungsverbunds in Jülich. Er war treibende Kraft und (Mit-)Herausgeber der Zeitschrift Brain Structure and Function, die infolge ihrer hohen Qualität ein großes Ansehen genießt. Sein umfangreiches Werk wurde mit dem Dr. Robert Pfleger Forschungspreis gewürdigt und mit der Aufnahme in die Leopoldina sowie in die Akademie der Wissenschaften und Künste in NRW. Karl Zilles war ein überaus angesehener Wissenschaftler, aber auch ein höchst erfolgreicher Forschungsmanager.
Ich durfte mit Karl Zilles seit seiner Zeit als Direktor der Hirnforschung in Düsseldorf zusammenarbeiten und habe ihn als Vorbild in der akademischen Lehre und in der Forschung erlebt. Später holte er mich nach Jülich, wo ich eine Arbeitsgruppe übernahm und dann als Direktorin viele der von ihm vorgezeichneten Wege weiterführen und darauf aufbauen konnte. Ich sehe seine Aktivitäten als ganz zentral für die wissenschaftliche Ausrichtung in Jülich und in Düsseldorf an. Seine wissenschaftlichen Kooperationen eröffneten den Zugang in eine europäische Forschungslandschaft, die wir heute in vielen Bereichen maßgeblich mitgestalten können. Das alles wäre schwer vorstellbar ohne ihn.
Gleichwohl Karl Zilles 2012 in den Ruhestand ging, so blieb er dennoch dem Institut als JARA-Seniorprofessor erhalten und konnte sich nun ganz seiner geliebten Tätigkeit als Wissenschaftler widmen. Er erkannte früh die Bedeutung der Digitalisierung und des computergestützten Arbeitens für die Hirnforschung und wurde auch hier engagierter Partner und Ideengeber. Viele wichtige Publikationen sind auch in dieser letzten beruflichen Phase entstanden, und nicht umsonst war Karl Zilles mehrfach der meistzitierte Neurowissenschaftler Deutschlands und einer der meistzitierten Autoren auf diesem Gebiet weltweit.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Instituts für Neurowissenschaften, INM-1, des Forschungszentrums Jülich und des C. und O. Vogt Instituts für Hirnforschung sind Karl Zilles auf immer zu großem Dank verpflichtet – für seinen enormen Einsatz, seinen hohen Forschungsethos, seine Rolle als akademischer Lehrer bei der Förderung junger Menschen, seine Hilfsbereitschaft und Unterstützung und sein tiefe Menschlichkeit.
Karl, wir werden Deiner stets ein ehrenvolles Andenken bewahren.
Prof. Katrin Amunts
Direktorin des Institutes Strukturelle und funktionelle Organisation des Gehirns (INM-1) am Forschungszentrum Jülich sowie Direktorin des C. und O. Vogt-Instituts für Hirnforschung der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
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English version
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On April 26, 2020 our dear friend and highly esteemed colleague, Professor Emeritus Karl Zilles, passed away after a long and serious illness. Karl Zilles was director of the Institute of Medicine for many years, later of the Institute of Neurosciences and Biophysics and finally of the Institute of Neurosciences and Medicine at Forschungszentrum Jülich. For many years, he headed the C. and O. Vogt Institute for Brain Research at Heinrich Heine University in Düsseldorf and he was the second head of the institute after the two eponyms, whose great tradition he revived.
Les Fleurs du Mal by Baudelaire, Adolf Wölflis amazing and impressive drawings, the architecture of Romanesque churches, arias by Maria Callas, concert performances by the Alban Berg Quartet of Schuberts works, the wild beauty of the Waimea Canyon and the African desert, Movies like Zardos or even a finely crafted Stanwell – these are just some facets of a rich, multifaceted and impressive personality who not only stood out in the field of neuroscience, but also contributed very wise thoughts on a wide range of topics, marked by deep knowledge and humanism.
Even if the concept of the universal scholar may have gone a little out of fashion today, it still characterizes Karl Zilles’ person quite accurately. He saw his commitment to science as a central part of his life, he was incredibly hard-working and productive, and with his creativity he initiated a number of important developments in modern brain research.
After studying medicine at the Johann-Wolfgang-Goethe University in Frankfurt, supported by the German National Academic Foundation, he went to the Institute of Anatomy at the Medical University in Hanover to work as a research assistant in neuroanatomy and habilitated there. From the very beginning, he was convinced that brain research needed measurable data and facts in order to understand the complicated relationships in the human cerebral cortex with its layers and cell columns and beyond. He was a pioneer in the introduction of television image analyzers and developed stereological methods to unravel the cellular architecture. After stations in Kiel and Cologne, he became director of the Neuroanatomy and the traditional C. and O. Vogt Institute for Brain Research at Heinrich Heine University in Düsseldorf in 1991 and finally became director in Jülich in 1998.
His fundamental work and methodological developments on autoradiographic labeling of receptors for various neurotransmitters, comparative anatomical studies and the initiation of a group on polarized light imaging at Jülich are still of immense scientific importance today. Various research collaborations within Europe, but also with the USA and Canada gave rise to the idea of developing probability maps of the cellular architecture of the cerebral cortex in order to be able to map the great individual variability in the brain maps. This made it possible to merge the spatially precise maps of the human brain into atlases and databases of the human brain, which were created with the rapidly developing in-vivo neuroimaging. With his powers of motivation, his expertise, which was always astonishing in its depth and breadth, but also his ability to approach and convince others, he has made major contributions to the very fast development of this field of research. One indicator of his motivational strength that is still valid today is the Organization for Human Brain Mapping, which brings together more than 3000 participants in its annual congresses. Here, too, he was in a leading position and temporarily headed its council as chair.
Jülich offered the great prospect of an all-encompassing access to brain structure and function on campus and enabled him to set up neuroimaging as a „window“ into the living brain and to bring together the various temporal and spatial aspects of its organization. A broad spectrum of working groups was created, many of which developed into institute departments. Quite a few of his doctoral students, staff members and guest researchers are now professors or hold leading positions elsewhere. He has supported, challenged and shaped more than just one generation of scientists, but always with the same high standards he has set for himself.
His scientific career and his great reputation have led him to many responsible positions – for example, as spokesman for a Collaborative Research Centre in Düsseldorf and a research associa-tion in Jülich. He was a driving force and (co-)editor of the journal Brain Structure and Function, which is highly regarded for its high quality.
His extensive work was honored with the Dr. Robert Pfleger Research Prize, and he was accepted into the Leopoldina and the Academy of Sciences and Arts in NRW. Karl Zilles was a highly re-spected scientist, but also a highly successful research manager.
I have had the pleasure of working with Karl Zilles since his time as director of brain research in Düsseldorf and have experienced him as a role model in academic teaching and research. He later brought me to Jülich, where I took over a research group and then, as director, was able to contin-ue and build on many of the paths he had mapped out. I see his activities as very central to the scientific orientation in Jülich and in Düsseldorf. His scientific collaborations opened the door to a European research landscape where we can today play a major role in shaping many areas. All this would be difficult to imagine without him.
Although Karl Zilles retired in 2012, he remained with the Institute as a JARA senior professor and was then able to devote himself entirely to his beloved work as a scientist. He recognized early on the importance of digitization and computer-aided work for brain research and became a committed partner and provider of ideas in this field as well. Many important publications were also produced during this last phase of his career, and it is not without reason that Karl Zilles was repeat-edly the most cited neuroscientist in Germany and one of the most cited authors in this field worldwide.
The staff of the Institute of Neuroscience, INM-1, of Forschungszentrum Jülich and of the C. and O. Vogt Institute of Brain Research are forever indebted to Karl Zilles – for his enormous commitment, his high research ethos, his role as an academic teacher in promoting young people, his helpfulness and support, and his deep humanity.
Karl, we will always keep an honorable memory of you.
Prof. Katrin Amunts
Director of the Institute of Neuroscience, INM-1, of Forschungszentrum Jülich and Director of the C. and O. Vogt Institute for Brain Research, Medical Faculty, Heinrich-Heine University Düsseldorf
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