Teilchendetektoren, wie ich sie in meinem letzten Beitrag gezeigt habe, kann man nicht im Laden kaufen. Wer ein neues Experiment an einem Beschleuniger machen möchte, muss sich genau überlegen, was ein passender Detektor können muss, wie er aussehen muss und auch wie die Detektorsignale digitalisiert werden müssen, damit sie später im Rechner analysiert und weiterverarbeitet werden können. Dazu müssen auch Detektormaterialien und einzelne Komponenten vorab unter realistischen Bedingungen getestet werden.
Solche Teststrahlzeiten, die in erster Linie zur Entwicklung von neuen Komponenten dienen, sind ebenso Bestandteil unserer täglichen Arbeit wie die eigentlichen Experimente, mit denen wir grundlegende wissenschaftliche Fragestellungen beantworten wollen. Auch und gerade in solchen Entwicklungsphasen zeigen sich die Vorteile, die man in einem großen Forschungszentrum im Vergleich zu kleineren Instituten an Universitäten hat. Nicht nur, dass man das notwendige Großgerät (hier der Teilchenbeschleuniger COSY) direkt vor Ort hat, es ist vor allem auch die vielfältige Expertise auf die man hier schnellen und unkomplizierten Zugriff hat. Das umfasst nicht nur wissenschaftliche Bereiche wie Beschleuniger- und Detektorentwicklung, sondern insbesondere das Know-how in den Mechanik- und Elektronikabteilungen, seien es die lokalen im Institut oder die zentrale Infrastruktur.
In den vergangenen Tagen hat Irakli Keshelashvili – ein Kollege von mir, der ein dediziertes Polarimeter für unsere EDM Messungen entwickelt – solche Testmessungen durchgeführt. Hierbei ging es um die Kombination von neuen, sehr dichten Materialien, mit denen man besonders kompakte Detektoren bauen kann, mit einer entsprechenden Auslese der Detektorsignale.
An dieser Stelle sollte ich vielleicht kurz erklären, wie ein solcher „Szintillationsdetektor“ funktioniert. Die Schemazeichnung rechts zeigt wie ein (geladenes) Teilchen einen solchen Detektor trifft. Das Teilchen wird von dem Detektormaterial abgebremst, d.h. es gibt seine Bewegungsenergie an dieses Material ab. Hier kann man sich schon vorstellen, dass dieses „Abbremsen“ umso schneller geht, je dichter dieses Detektormaterial ist – und dass das auch bedeutet, dass man mit dichten Materialien wesentlich kleinere und kompakte Detektoren bauen kann. Die abgegebene Bewegungsenergie verschwindet nicht einfach, sondern taucht in Form von Licht wieder auf. Natürlich findet dieser Prozess (wir nennen das „Szintillation“) nicht bei jedem x-beliebigen Material statt, sondern es handelt sich hier um ganz bestimmte Materialien: besonders gut sind solche, die möglichst viel der ursprünglichen Energie möglichst schnell in Licht umwandeln – mit diesen lassen sich dann auch besonders genaue Messungen durchführen. Eine zweite Eigenschaft, die diese Detektoren haben sollten, ist Transparenz: wenn das Material für das erzeugte Licht nicht durchsichtig ist, kann man es nicht sehen und auch nicht messen. Für den Nachweis des Szintillationslichtes werden verschiedene Arten von Photosensoren verwendet, die das Licht in elektrischen Strom umwandeln, auf die ich jetzt aber nicht im Detail eingehen möchte.
Links ist ein Szintillatorkristall aus dem Material LYSO (Lutetiumyttriumsilikatoxid – für die ganz Neugierigen) zu sehen, bevor er mit einem Photosensor gekoppelt und verpackt wurde. Verpacken ist deshalb notwendig, weil einerseits kein Streulicht von außen in den Detektor dringen soll, andererseits aber auch das im Kristall erzeugte Szintillationslicht möglichst gut an den Seitenflächen reflektiert und zum Photosensor geleitet werden soll.
Das Verpacken ist Handarbeit. Rechts sieht man Krzysztof Nowakowski, einen Studenten aus Krakau, der z.Zt. in Jülich ist, beim Einpacken eines Kristalls mit Teflonfolie. Über das Teflon kommt dann noch eine Lage Tedlar (Polyvinylfluorid). Danach wird an einer Seite der Photosensor angebracht und alles noch in eine stabile Hülle aus Kohlefaser gesteckt. Für einen kompletten Detektor werden mehrere dieser Module gebraucht: eine modulare Bauweise macht einen flexiblen Detektoraufbau möglich, bei dem bei Störungen im Betrieb auch einzelne Elemente getauscht werden können, ohne dass man den kompletten Detektor in seine Einzelteile zerlegen müsste.
Ein komplettes Einzelmodul mit Kristall (im Bild unten) und Photosensor (oben) ist links zu sehen. Die elektrische Verbindung zum Photosensor (Spannungsversorgung und Signalauslese) ist oben im Bild angedeutet. Vier dieser Module wurden in der angesprochenen Strahlzeit an COSY mit Protonen- und Deuteronenstrahlen getestet. Das Ziel dabei war herauszufinden mit welcher Genauigkeit man die Energie der Teilchen messen kann und wie gut man das eigentliche Signal, mit dem wir die Polarisationsrichtung bestimmen wollen (siehe hier), vom Untergrund aus anderen Reaktionen abtrennen kann. Da der Teilchenstrahl an verschiedenen Stellen und unter verschiedenen Winkeln auf die Detektormodule fallen soll, gab es einen beweglichen Aufbau, dessen Position von außen ferngesteuert werden kann. Unten ist ein kurzer Film zu sehen, den Irakli aufgenommen hat und der das ganze etwas veranschaulicht.
Im Hintergrund sieht man die letzten Magnete der COSY Strahlführung zum Experimentplatz. Die Messung wurde nicht als internes Experiment im Speicherring aufgebaut, sondern an einem der externen Experimentplätze. „Extern“ bedeutet hierbei, dass der in COSY gespeicherte Teilchenstrahl langsam wieder aus COSY entfernt („extrahiert“) und über eine Strahlführung aus verschiedenen Magneten zum Experiment geleitet wird. Hierbei kann man die Geschwindigkeit der Extraktion so wählen, dass am Experimentort genau die Anzahl von Teilchen pro Sekunde ankommen, die man gerne hätte.
Ein Überblick über den kompletten, fertigen Aufbau bietet das Foto oben. Hier sind die gelben COSY Magnete noch deutlicher zu sehen. Dabei handelt es sich um sogenannte Quadrupolmagnete, die wie ein Linsensystem in der Optik wirken und zur Fokussierung des Strahls auf das für das Experiment angegebene Ziel dienen. Der COSY Strahl ist hier als roter Pfeil angedeutet. Er kreuzt den im Film gezeigten Aufbau mit den vier Detektormodulen. Der Rest des Aufbaus dient der Bewegungssteuerung und der Signalauslese: die elektrischen Signale aus den Photosensoren müssen digitalisiert, auf Festplatte geschrieben und anschließend analysiert werden.
Das alles ist in Bildern natürlich nur halb so interessant wie es in natura zu erleben. Eine Gelegenheit dazu bietet z.B. eine Besucherführung im Forschungszentrum. Hierzu kann man sich einfach an die Besucherbetreuung des Forschungszentrums wenden. In dem Zusammenhang möchte ich auch auf den kommenden Tag der Neugier am 5. Juni 2016 hinweisen. An diesem Tag – einem Sonntag – öffnet das Forschungszentrum von 10-17 Uhr für jedermann seine Tore. In diesem Jahr ist der Anlass auch ein spezieller: das Forschungszentrum feiert seinen 60jährigen Geburtstag!
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