Da er selbst Sozialwissenschaftler ist, hat ein Kommentar zum Beitrag „Arbeiten Forscher für sich oder für die Gesellschaft?“ den Autoren Prof. Hans Peter Peters zu einer längeren Antwort über den womöglichen Unterschied der Kommunikation von Naturwissenschaftlern und Geistes-/Sozialwissenschaftlern motiviert. Den ausführlichen Kommentar veröffentlichen wir hier als eigenen Beitrag.
Von Hans Peter Peters
Natürlich variieren Talent und Bemühen um verständliche Kommunikation zwischen Wissenschaftlern. Ich kenne Kolleginnen und Kollegen, die ihre Erkenntnisse glasklar und verständlich nicht nur für ein Fachpublikum darstellen können; bei anderen teile ich den im Kommentar geäußerten Eindruck, dass ihre Darstellungen nicht nur kompliziert sind, sondern unnötig kompliziert. Es ist eine interessante Frage, ob es dabei systematische Unterschiede zwischen Naturwissenschaftlern auf der einen und Sozial- und Geisteswissenschaftlern auf der anderen Seite gibt. Der Begriff „Soziologenchinesisch“ ist sprichwörtlich und es lohnt sich zu fragen, was hinter dem verbreiteten Eindruck steht, dass sich Sozial- und Geisteswissenschaftler besonders schwer damit tun, öffentlich verständlich zu kommunizieren.
Meine Anmerkungen fasse ich in drei mir plausibel erscheinende Thesen zusammen, die ich nur ansatzweise empirisch belegen kann und die insofern spekulativ sind. Die beiden ersten Thesen unterstellen die Korrektheit der Behauptung und verweisen auf mögliche Gründe für den Unterschied zwischen Naturwissenschaftlern und Geistes-/Sozialwissenschaftlern; die dritte These besagt, dass die Behauptung womöglich auf einer Fehlwahrnehmung beruht.
These 1: Da das Wissenschafts-Image der Sozial- und Geisteswissenschaften wesentlich schlechter als das der Naturwissenschaften ist, neigen Sozial- und Geisteswissenschaftler dazu, bei Kontakten zur Öffentlichkeit ihre Wissenschaftlichkeit durch Verwendung von Fachjargon herauszustellen.
Aus Befragungen wissen wir, dass die Öffentlichkeit die „Wissenschaftlichkeit“ der Geistes- und Sozialwissenschaften wesentlich niedriger einschätzt als die der Naturwissenschaften. So beurteilten in einem Eurobarometer von 2005 die deutschen Befragten die Wissenschaftlichkeit von Geschichtswissenschaft und Ökonomie fast so niedrig wie die Wissenschaftlichkeit der „Astrologie“. Die Ergebnisse für die EU insgesamt waren ähnlich. Für die Geistes- und Sozialwissenschaftler ist das ein massives Image-Problem. Hinzu kommt, dass sich die breite Öffentlichkeit weniger für geistes- und sozialwissenschaftliche Forschung selbst interessiert als vielmehr für die daraus entwickelten Deutungs- und Orientierungsangebote, bei denen die Wissenschaftler dann aber auch noch mit Journalisten, Politikern oder Experten aus der Praxis konkurrieren.
Das demonstrative Herauskehren von Wissenschaftlichkeit in der öffentlichen Kommunikation mag der (vermutlich untaugliche) Versuch sein, dem Vorurteil zu begegnen, Geistes- und Sozialwissenschaftler seien eine Informationsquelle ohne Anspruch auf wissenschaftliche Autorität. Nach These 1 resultiert der Hang zur Kompliziertheit in der öffentlichen Kommunikation nicht aus einer besonderen kommunikativen Ungeschicklichkeit von Geistes- und Sozialwissenschaftlern, sondern dient womöglich vielen von ihnen – sicher meist unbewusst – zur Konstruktion einer professionellen Identität als Wissenschaftler (um jetzt mal selbst eine Dosis Fachjargon einfließen zu lassen).
These 2: Die verständlichere öffentliche Vermittlung naturwissenschaftlichen Wissens ist letztlich die Konsequenz seiner Unverständlichkeit für Laien; die relative Unverständlichkeit der Sozialwissenschaften resultiert aus der engeren Verflechtung fachwissenschaftlicher und öffentlicher Kommunikation.
Wir wissen, dass die Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit nach Fächern und Forschungsthemen variiert – auch innerhalb der Naturwissenschaften und innerhalb der Geistes- und Sozialwissenschaften. Idealtypisch überspitzt lassen sich trotzdem zwei Modelle der Beziehungen zur Öffentlichkeit von Naturwissenschaftlern und Geistes-/Sozialwissenschaftlern unterscheiden. In den Naturwissenschaften besteht eine klare Trennung zwischen innerwissenschaftlicher Kommunikation unter Fachkollegen und öffentlicher Kommunikation mit Laien. Da Laien die meisten naturwissenschaftlichen Originalveröffentlichungen nicht verstehen könnten (selbst wenn sie es wollten), müssen naturwissenschaftliche Inhalte zwangsläufig für die öffentliche Kommunikation übersetzt bzw. popularisiert werden, wobei „Übersetzung“ in diesem Zusammenhang ein verschleiernder Ausdruck ist, der vieles versteckt, was dabei passiert. Die Popularisierung der Naturwissenschaften ist stark durch Traditionen und Strukturen gestützt wie etwa durch den (Natur-)Wissenschaftsjournalismus.
In den Geistes- und Sozialwissenschaften gibt es natürlich auch den fachwissenschaftlichen Austausch der Wissenschaftler untereinander, aber fachwissenschaftliche und öffentliche Kommunikation haben größere Überschneidungen. Ein interessierter Laie könnte beispielsweise viele Originalveröffentlichungen aus dem Bereich der Soziologie oder Kommunikationswissenschaft im Großen und Ganzen verstehen. Es gibt auch viele Bücher, die einerseits von Fachkollegen als Fachliteratur gelesen werden, andererseits aber auch ein breites Publikum unter Nichtwissenschaftlern finden. Denken wir beispielsweise an die Suhrkamp Taschenbücher von Jürgen Habermas und Ulrich Beck.
These 2 unterstellt also letztlich, dass Naturwissenschaftler bei der öffentlichen Kommunikation das Popularisierungsmodell im Hinterkopf haben, das eine separate Kommunikationsarena für den öffentlichen Diskurs unterstellt, in der eine andere Sprache nötig ist. Geistes- und Sozialwissenschaftler betrachten öffentliche Kommunikation dagegen tendenziell als partielle Öffnung der fachwissenschaftlichen Kommunikation in Richtung Öffentlichkeit, was die nur halbherzige Anpassung wissenschaftlicher Aussagen an die Bedürfnisse von Laien erklärt. Dieses Modell erkennt Laien als ernstzunehmende Kommunikationspartner an, fordert ihnen aber auch mehr Bereitschaft ab, sich auf einen fachwissenschaftlich geprägten Diskurs einzulassen.
Interessanterweise ist gerade das naturwissenschaftliche Popularisierungsmodell massiv in die Kritik geraten, weil es eine strikte Grenzziehung zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit vorsieht und Laien von der Beteiligung an der fachwissenschaftlichen Kommunikation ausschließt. Seit etwa 20 Jahren wird in diesem Zusammenhang der Übergang vom „Public Understanding of Science“ zum „Public Engagement with Science“ Ansatz gefordert. Inwieweit das realistisch ist, will ich hier nicht weiter erörtern.
(Einige Daten und Interpretationen, die die hier skizzierten Argumente zugunsten von These 2 stützen, habe ich in einem online zugänglichen Überblicksartikel veröffentlicht.)
These 3: Naturwissenschaftler reden öffentlich genauso kompliziert und mit Fachjargon durchsetzt wie Geistes-/Sozialwissenschaftler; ihnen werden aber komplizierte Darlegungen und Fachjargon eher nachgesehen und daher als weniger störend wahrgenommen.
Der Eindruck unnötiger Kompliziertheit bei Geistes- und Sozialwissenschaftlern ergibt sich aus der Alltagsnähe vieler ihrer Forschungsgegenstände, also beispielsweise soziale und politische Entwicklungen, Einkommensgerechtigkeit, Probleme mit Online-Kommunikation, Zuwanderung und Integration oder die moralischen Probleme von Gentests in der Schwangerschaft. Erkenntnisse über diese Themen werden nicht nur wissenschaftlich erzeugt, sondern entstehen auch durch journalistische Recherche, durch Erfahrung von Praktikern sowie durch Intuitionen, Beobachtungen und Schlussfolgerungen von uns allen. Die Alltagsnähe der Forschungsgegenstände erzeugt die Erwartung, dass auch Wissenschaftler alltagssprachlich darüber kommunizieren könnten – wenn sie nur wollten.
Dagegen sind naturwissenschaftliche Forschungsgegenstände oftmals alltagsfern und Naturwissenschaftler haben ein Erkenntnismonopol. Wenn wir etwas über schwarze Löcher wissen wollen, dann gibt es für uns keinen anderen Weg als die Forscher zu fragen. Ohne Forscher wüssten wir nicht einmal, dass es schwarze Löcher gibt. Wir akzeptieren, dass naturwissenschaftliches Wissen esoterisch ist und dass es schwer fällt, dieses Wissen allgemeinverständlich zu vermitteln. Falls These 3 stimmt, dann handelt es sich bei der Diagnose eines Unterschieds im Bemühen um Verständlichkeit zwischen Natur- und Geistes-/Sozialwissenschaftlern womöglich um eine Fehlwahrnehmung.
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