von Janosch Deeg
Hochpräzise Bauteile an der Grenze des technisch Machbaren fertigen? Kein Problem für das neue Fünf-Achs-Bearbeitungszentrum am Jülicher Zentralinstitut für Engineering und Technologie (ZEA-1). Den ersten Auftrag stemmt Ingenieur Dr. Yannick Beßler – mit einem wichtigen Bauteil für die ESS-Neutronenquelle in Schweden.
Wie ein Bungalow steht es da, mitten in der Halle des ZEA-1 – rund 80 Quadratmeter in der Fläche und mit großen Fenstern. Wer aber durch die Scheiben hineinspickt, erblickt keinen Tisch und kein Sofa. Stattdessen fräsen dort Hochpräzisionswerkzeuge Metall und formen so teilweise über mehrere Wochen außergewöhnliche Bauteile. Willkommen im neuen Fünf-Achs-Bearbeitungszentrum, das seit Mitte Mai am ZEA-1 in Betrieb ist!
Den rund 40 Tonnen schweren Neuzugang nennen Ingenieur Dr. Yannick Beßler und seine Kollegen im ZEA-1 einfach „die große Fräse“ – dabei gehört der 1,6 Millionen Euro teure Apparat zu den besten seiner Sorte. „Fünf Achsen bedeuten, dass wir das Material aus allen Richtungen und Winkeln bearbeiten können“, sagt Beßler, der für den ersten Großauftrag mit dem Technikkoloss verantwortlich ist. „Lokal kann sogar eine sechste Achse eingesetzt werden, was die Fertigung ganz besonders komplizierter Formen erlaubt.“ Daneben sei die schiere Größe des Geräts etwas Außergewöhnliches. „Wir können damit hochpräzise Bauteile herstellen, die von wenigen Millimetern bis zu zwei Metern Größe reichen“, erzählt der Ingenieur nicht ohne Stolz.
Das Herz der Neutronenquelle
Das Großgerät überzeuge aber nicht nur beim Fräsen, so der 38-Jährige, der seit zehn Jahren am ZEA-1 arbeitet. „Es kann zum Beispiel bis zu 120 verschiedene Werkzeuge eigenständig wechseln.“ Ein komplizierter und langwieriger Austausch der schweren Teile von Hand ist nicht mehr nötig. „Da auch sonst vieles automatisiert abläuft, kann die Fräse teils sogar über Nacht alleine laufen“, sagt Beßler. Außerdem können digitale 3D-Modelle des gewünschten Bauteils direkt ins Gerät eingespeist werden. Das spare Zeit und verhindere Fehler, die sich bei einer manuellen Programmierung einschleichen können, so der Ingenieur.
Passend zu den außergewöhnlichen Fähigkeiten des Geräts hat es die erste Aufgabe gleich in sich: „Wir fertigen das Herz der Neutronenquelle der ESS“, sagt Beßler. ESS steht für European Spallation Source, eine im Bau befindliche zwei Milliarden Euro schwere Großforschungseinrichtung im schwedischen Lund. Sie soll ab dem Jahr 2023 Neutronen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterschiedlicher Forschungsbereiche bereitstellen. „Man kann damit zum Beispiel Pflanzen beim Wachsen auf molekularer Ebene beobachten“, sagt Beßler. Da das Forschungszentrum im Bereich der Neutronenforschung in Deutschland führend ist, hat es die leitende Rolle der deutschen Beteiligung inne. Beßler und seine Kolleginnen und Kollegen sind für den Bau des sogenannten Twisters der Neutronenquelle verantwortlich.
Die Uhr tickt!
Insgesamt neun Einzelteile – jedes anderthalb Meter lang – für die Ummantelung des Twisters werden derzeit am Fünf-Achs-Bearbeitungszentrum gefräst. Dazu werden zehn Tonnen sonderangefertigter Edelstahl im Wert von 200.000 Euro verarbeitet. Die Ummantelung soll künftig die energiereichen Neutronen nach außen abschirmen und so unter anderem Elektronik und Menschen schützen. „Damit das nicht schiefgeht, müssen die einzelnen Bauteile extrem passgenau sein“, erklärt Beßler. Außerdem werden ganz unterschiedliche dreidimensionale Geometrien, etwa feine Kühlkanäle, eingefräst. So kann sich die Herstellung eines einzelnen Bauteils über Wochen hinziehen. „Die Industrie traut sich an komplexe Projekte der ESS-Neutronenquelle wie unseren Twister gar nicht erst heran“, so der Ingenieur. Sobald alle Teile fertig sind, werden sie mit den anderen Komponenten des Twisters in Jülich zusammengebaut. Die Zeit drängt – doch Beßler ist zuversichtlich, dass der funktionsfähige Twister wie geplant zum Jahreswechsel nach Schweden geliefert werden kann – trotz Corona-Pandemie. Damit wäre die erste Bewährungsprobe für das Fünf-Achsen-Bearbeitungszentrum bestanden. Und die nächsten Herausforderungen warten bereits auf dem Campus des Forschungszentrums.
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