Und wieder hat ein Medikament gegen Alzheimer enttäuscht. Wie aktuell zu lesen ist, hat der Wirkstoff Solanezumab in der entscheidenden Studienphase nicht die erhoffte Wirksamkeit erzielt: Im Vergleich zu einer Kontrollgruppe zeigten mit Solanezumab behandelte Alzheimerpatienten keine bedeutsame Verlangsamung der krankheitsbedingten Symptome.
So bedauernswürdig dieses Ergebnis ist, überrascht zeigt sich Prof. Dieter Willbold nicht. „Ich gehe davon aus, dass der Wirkstoff nicht an der richtigen Stelle ansetzt“, sagt er während einer Mitarbeiterführung durch die neuen Räumlichkeiten des Jülicher Institute of Complex Systems. Hier leitet Prof. Willbold den Institutsbereich Strukturbiochemie (ICS-6) und forscht unter anderem selbst an einem Wirkstoff gegen Alzheimer’sche Demenz. „Man muss die Krankheit zunächst verstehen, um eine gezielte Therapie zu entwickeln.“
Was passiert bei Demenz im Gehirn?
Nervenzellen, die Neuronen, sind durch Leitungen miteinander verbunden. Wenn wir denken oder etwas tun, wird dies über Signale zwischen Nervenzellen gesteuert. Bei einer Demenz ist die Signalübertragung zwischen den Nervenzellen, an den Synapsen, gestört. Schreitet die Erkrankung weiter fort sterben die Synapsen sogar ab und ganze Nervenzellen werden zerstört. In der Folge verliert das Gehirn an Volumen und es bilden sich Löcher. Die Begleiterscheinungen reichen von leichter Vergesslichkeit bis hin zu schwerem Gedächtnisverlust.
Im Gehirn vom Demenzpatienten lassen sich zudem Ablagerungen („Plaques“) feststellen. Diese bestehen aus einem bestimmten Peptid [1], dem sogenannten Amyloid-beta-Peptid, dessen rund 40 Aminosäuren aus einem Vorläuferprotein herausgeschnitten werden. „Das Entstehen von Amyloid-beta-Peptiden ist ein ganz normaler Vorgang. Er läuft bei uns allen ab“, sagt Willbold. Mit zunehmender Zeit und damit auch mit zunehmendem Lebensalter steigt die Chance, dass das Peptid aggregiert. Es entstehen kleinere, lösliche Zusammenlagerungen aus zwei bis wenigen Dutzend Amyloid-beta-Molekülen. Diese sogenannten Oligomere stehen im Verdacht, Nervenzellen und die Verbindungen zwischen ihnen zu schädigen und damit die Alzheimer’sche Demenz auszulösen.
Der Aggregationsprozess geht jedoch noch weiter: Durch Zusammenlagerung der Amyloid-beta-Oligomere bilden sich die oben beschriebenen Plaques. Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass diese deutlich weniger zellschädigend als die toxischen Amyloid-beta-Oligomere sind.
Jülicher Wirkstoff
Während sich Wirkstoffe wie zum Beispiel Solanezumab bisher häufig auf die Bildung von Amyloid-beta-Peptiden konzentrierten, zielen Willbold und sein Team mit ihrer Substanz „D3“ darauf ab, die toxisch wirkenden Amyloid-beta-Oligomere unschädlich zu machen. Und erste Erfolge liegen vor: „In Untersuchungen an Mäusen führte sogar eine orale Verabreichung des Wirkstoffkandidaten zur Verbesserung von Gedächtnis- und Lernfähigkeiten“, sagt Willbold, der neben seiner Position in Jülich auch das Institut für Physikalische Biologie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf leitet. Bis „D3“ oder eines seiner effizienteren Derivate auch an Patienten getestet werden kann, ist noch etwas an Weg zurückzulegen. „Zunächst muss die Substanz an einer kleinen Anzahl gesunder Menschen seine Unbedenklichkeit beweisen.“ [2]
Mitarbeiterführung im Biomolekulare NMR-Zentrum
Bei seiner Forschung greifen Willbold und sein Team in strukturelle Prozesse auf molekularer Ebene ein. Dies gelingt ihm auch Dank der wissenschaftlichen Großgeräte auf dem Jülicher Campus. Das extrem hochauflösende Verfahren der Kernspinresonanzspektroskopie (kurz NMR, für „nuclear magnetic resonance“) macht die entscheidenden Strukturen sichtbar und liefert so Informationen für neue Therapien. Am ICS-6 befindet sich mit dem Biomolekularen NMR-Zentrum ein weltweit einzigartiger Standorte für diese Technik. Hier betreibt das Institut mehrere Höchst- und Hochfeld-NMR-Spektrometer, die Willbold nun den Mitarbeitern des Forschungszentrums vorstellt.
„Wenn Sie einen Herzschrittmacher oder Implantate besitzen, bleiben Sie bitte hinter der roten Linie“, warnt der Wissenschaftler vor dem extrem starken Magneten des derzeit leistungsstärksten Jülicher Geräts, einem 900 MHz-NMR-Spektrometer. Im Inneren des Magneten herrscht ein Magnetfeld von 21 Tesla. Das entspricht dem mehr als 400.000-fachen unsers Erdmagnetfelds.
Im Anschluss ging es in das neuste Gebäude des NMR-Zentrums, das zu einem Großteil aus nichtmagnetischen Materialen wie Holz gebaut wurde. Der Neubau beherbergt bereits mehrere neuartige Hochleistungs-NMR-Geräte. Ein Platz in der Halle ist jedoch noch frei – für ein 1,2 GHz NMR-Spektrometer, das bisher noch an keinem Standort der Welt verfügbar ist. 2018 soll der Koloss einziehen.
[1] Ein Peptid ist ein kleines Protein und besitzt typischerweise weniger als 100 Aminosäuren.
[2] Prof. Willbold’s ausführliche Einschätzung des „Rückschlags“ in der Alzheimerforschung finden Sie hier: http://www.fz-juelich.de/SharedDocs/Meldungen/PORTAL/DE/2016/16-12-01-alzheimerforschung-solanezumab.html
Bilder: Marcel Bülow
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