Wie stehen die Deutschen zu Wissenschaft und Forschung? Wie stark ist ihr Interesse an wissenschaftlichen Themen, wie ausgeprägt ist ihr Vertrauen in die Arbeit von Forscherinnen und Forschern? Die Antworten auf diese Fragen findet sich im „Wissenschaftsbarometer„, einer jährlichen Umfrage der Initiative „Wissenschaft im Dialog“. 

Hier im Blog „Zweikommazwei“ beziehen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Forschungszentrums Position zu den Befunden und Thesen des aktuellen Wissenschaftsbarometers 2018. Im dritten Teil der Serie (abonnierbar als RSS-Feed), nimmt Prof. Katrin Amunts, Medizinerin und Direktorin des „Instituts für Neurowissenschaften und Medizin“, Stellung.

 

Darf Wissenschaft wirklich alles erforschen – ohne Einschränkung?

Prof. Katrin Amunts, Direktorin des Jülicher Instituts für Neurowissenschaften und Medizin und stv. Vorsitzende des Deutschen Ethikrates 

 „Die Freiheit der Wissenschaft ist im Grundgesetz verankert. Dennoch sind 43 % der Befragten nicht der Meinung, dass Wissenschaft und Forschung ohne Einschränkung alles erforschen dürfen. Frau Amunts, stimmen Sie dem zu?“

Ja, dem stimme ich zu. Mit der Wissenschaftsfreiheit ist keine absolute Freiheit gemeint, sondern auch sie kann durch andere Rechte und Normen eingeschränkt werden, etwa durch das Recht auf Selbstbestimmung oder die Würde des Einzelnen. Wo allerdings die Grenzen für die Forschung konkret zu ziehen sind, ist  im konkreten Fall nicht immer einfach zu beantworten und bedeutet mitunter schwierige Abwägungen. In vielen Bereichen der biologischen und medizinischen Forschung sind solche Fragen schon sehr alt, vielfach diskutiert und in der Praxis zu festen Regeln umgesetzt, deren Einhaltung z.B. von Ethikkommissionen überwacht wird. Es gibt aber natürlich auch ganz neue Fragen, die sich durch neue Möglichkeiten der Digitalisierung, Big Data oder Künstliche Intelligenz stellen oder auch die Frage betreffen, in wie weit man in das Gehirn eingreifen oder Verhalten manipulieren darf.

Ich komme mit solchen Fragen immer häufiger in Berührung, als Neurowissenschaftlerin und Medizinerin, als stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Ethikrates und im Europäischen Human Brain Project, auf das ich im Folgenden beispielhaft eingehen möchte.

Im Human Brain Project wird die Verknüpfung von Hirnforschung und Technologieentwicklung auf Europäischer Ebene systematisch betrieben, um Synergien zwischen den verschiedenen Forschungsbereichen, der Medizin und neuesten Informationstechnologien zu verwirklichen. Das eröffnet gewaltige Chancen, das Leben von Menschen zu verbessern, es müssen zugleich jedoch auch die Risiken bedacht werden. Wir haben daher im Projekt seit Beginn ein eigenes Teilprojekt für Ethik, einen Direktor für ethische Fragen sowie Berichterstatter für ethische Themen in jedem unserer Teilprojekte. Hier sind einige Beispiele für Fragen, mit denen wir uns beschäftigen:

Künstliche Intelligenz (KI) ist zu einem wichtigen Thema im Human Brain Project geworden. Wir nutzen KI-Verfahren in der neurowissenschaftlichen Arbeit, um beispielsweise das Gehirn zu kartieren, oder Vorhersagen über den Verlauf von Erkrankungen zu treffen. Auch im Zusammenspiel von KI und Simulation ergeben sich interessante Perspektiven, z.B. für die Entwicklung neuer pharmakologischer Substanzen. Zum anderen entwickeln wir stärker biologisch verankerte Ansätze für Künstliche Intelligenz, um gegenwärtige Limitierungen zu überwinden. Durch die rapiden Fortschritte von KI-Verfahren eröffnen sich neue Möglichkeiten,  gleichzeitig wird vor dem Risiko einer zu schnellen, ungesteuerten Entwicklung gewarnt.

Ich glaube allerdings nicht, dass man deshalb in diesem Bereich nicht forschen darf. Im Gegenteil würde die Europäische KI-Forschung dann Gefahr laufen, noch weiter gegenüber den führenden Playern auf diesem Gebiet, den USA und China, zurückzufallen. Sich hier einfach auszuklinken, ist also keine Option. Vielmehr wird man versuchen müssen, die Entwicklungen verantwortungsbewusst zu gestalten. Dabei spielt Bildung eine zentrale Rolle. Europa könnte aus meiner Sicht durchaus eine Vorreiter-Rolle in normgebender, ethisch ausgerichteter KI-Forschung  spielen. Unter anderem dafür tritt seit kurzem das EU Projekt „SHERPA“ an, das durch den Ethik-Direktor des Human Brain Project, Prof. Bernd Stahl, geleitet wird. Hier wird es also eine  interessante Zusammenarbeit geben.

Neuroprothesen eröffnen faszinierende Perspektiven. Im Human Brain Project nutzt unser Partner  Pieter Roelfsema in Amsterdam etwa Grundlagenwissen zur Verarbeitung von visueller Information zur Entwicklung einer Gehirnprothese für Blinde. Durch direkte Stimulation der Nervenzellen im  primären Seh-Areal soll dies den Betroffenen einmal helfen, ihre Umgebung wieder wahrzunehmen. Allerdings eröffnen sich bei Eingriffen ins Gehirn auch Fragen, die unsere Menschenwürde betreffen könnten. Hierzu haben wir im Ethikrat vor einigen Monaten eine große Debatte geführt und auch Pieter Roelfsema selbst hat die möglichen Konsequenzen von Neuroprothesen und Techniken der Gehirnstimulation kürzlich in einem Artikel in der Zeitschrift „Trends in Cognitive Sciences“ bewertet.

Big Data-Methoden im Gesundheitsbereich sind ein weiteres Feld, über das in der Gesellschaft diskutiert wird. Insbesondere die Auswertung großer Datensätze mit sensiblen persönlichen Informationen ist generell zu einem Thema unserer Zeit geworden. Höchst umstritten war etwa eine Studie, in der 600 000 Facebook-Nutzer ohne ihr Wissen emotional manipulierten, also entweder besonders positiven oder negativen Inhalten ausgesetzt wurden, um dann ihr Verhalten zu analysieren. Andererseits sind Erkenntnisse aus Big Data-Analysen von Krankheitsdaten für die Forschung gerade bei den besonders komplexen Erkrankungen des Gehirns wichtig. Auch hier sollte man also weder alles zulassen, noch pauschal bestimmte Arten von Forschung ablehnen. Man muss konkrete Lösungen finden. Deshalb bauen wir im Human Brain Project, begleitet durch Datensicherheits-Experten, eine medizinische Informatik-Plattform auf, die derartige Analysen möglich macht, ohne Datenschutzrechte von Patienten zu verletzen.

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