Das Forschungszentrum wurde gegründet, um Kernforschung und kerntechnische Entwicklung zu betreiben. Der Gesamtanteil der kerntechnischen Aktivitäten betrug 1970 etwa 35 Prozent. In der Ära des Vorstandsvorsitzenden Karl Heinz Beckurts (1970 – 1980) begann eine erste Verringerung.
Um 1970 erschien die Jülicher Kerntechnik dem Leiter des neugebildeten Instituts für Nuklearchemie (INC) noch derart im Vordergrund zu stehen, dass er beklagte, niemand würde sich ernsthaft für die Arbeiten seines Instituts interessieren. „Unser Ansehen in der KFA störte uns wenig“, lesen wir in der Institutsgeschichte „Von Molekülen, Mäusen und Menschen“. Dafür habe man „Narrenfreiheit“ besessen.
Neuausrichtung
1989 machte der „K“-Anteil nur mehr 20 Prozent der Gesamtaktivitäten aus, 1999 waren es 7 Prozent. Sie werden nun auf Null zurückgefahren. Die Neuausrichtung von der Kernenergie- zur Post-Kernenergie-Ära trug das Etikett „Diversifikation“. Sie wurde ab Ende der 1960er Jahre diskutiert. Es war ein allmählicher Prozess. Man schaltete die Kernenergie-Forschung nicht einfach ab. Es kamen sogar neue kerntechnische Projekte hinzu, so 1970 die Entwicklung eines fliegenden Kleinreaktors für die Weltraumfahrt (ITR).
Der Anstoß zur Diversifikation war von außen gekommen. Ein Vertreter des Bundes forderte 1969 zu verstärkten Überlegungen darüber auf, „in welcher Weise eine Diversifikation der bisher fast ausschließlich auf dem Gebiete der Kernforschung tätigen Zentren auf nichtnukleare Aktivitäten möglich sei“. Zugleich lobte er erste Jülicher Tendenzen in Richtung Neue Technologien.
Mit der Diversifikation waren Absichten und Hintergedanken verbunden.
- Der Gesellschafter Bund wollte sparen. Schließlich hatte es 1967 die erste Wirtschaftskrise der Bundesrepublik gegeben, die „Rezession“. Die Arbeitslosenquote war von 0,2 auf 2,2 Prozent gestiegen! Reaktor-Entwicklung war zu teuer geworden.
- Zugleich sollten die Kernforschungseinrichtungen der Bundesrepublik, alle waren gemeint, mit verschiedenen, auf neue gesellschaftliche Aufgaben zugeschnittenen Tätigkeiten Geld verdienen – ein Dauerthema in der Geschichte der Zentren.
- Neue gesellschaftlich relevante F+E-Aufgaben zeichneten sich ab.
- 1967 hatte der AVR-Reaktor erstmals Strom in das öffentliche Netz geliefert. War damit die Glock‘ nicht schon halb gegossen? So stellte sich auch die Frage: „Was machen wir nach dem Erfolg?“
1985 wurde der Reaktor MERLIN abgeschaltet und 2006 der Reaktor DIDO, 1989 wurde das Institut für Reaktorbauelemente aufgelöst, 1992 das Projekt „Entwicklungsarbeiten für Hochtemperatur-Reaktor-Anlagen“ eingestellt. Blicken wir vom Abschalten und Auflösen auf das parallele Gründen: 1981 wurde die Umweltprobenbank eingeweiht, 1985 das Umweltforschungsprogramm aufgelegt; 1987 entstand die Stabsstelle Supercomputing, 1989 die Arbeitsgruppe Photovoltaik.
Großgeräte als „Leuchttürme“
Ende 1971, in einem Rückblick auf die ersten 15 Jahre des Zentrums, wurde in „kfa intern“ auf die Gefahr der Verzettelung durch die Diversifikation hingewiesen. Oftmals wurde gefragt, ob das Zentrum zum „Bauchladen“ würde. In diesem Fall verlöre es seine „Identität“. Dieser Begriff bedeutete nichts Psychologisches. Die Großforschungseinrichtungen mussten ein spezifisches Profil herausbilden, um sich von den übrigen etablierten Forschungsinstitutionen wie MPG und Universitäten erfolgreich abzuheben. Nur so war ihre Förderungswürdigkeit politisch durchsetzbar und ihr Bestehen gewährleistet. Identitätsstiftendes Hauptmerkmal waren von früh an die Großgeräte gewesen, die so genannten „Leuchttürme“. Das Ergebnis der Diversifizierung durfte mithin nicht im Verzicht auf Leuchttürme bestehen. Es mussten neue und identitätsstiftende Projekte geschaffen werden. Unter diesem Blickwinkel traten in Jülich Großgeräte wie etwa das Elektronenmikroskop 9,4-Tesla-NMR oder das Supercomputing an die Stelle der früheren.[1]
Namenswechsel von „Kernforschungsanlage“ in „Forschungszentrum“
Natürlich wurden nicht alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit der Diversifikation glücklich. Man befürchtete den „Bauchladen“, fühlte sich hin und her geschoben und glaubte seine Arbeiten nicht mehr anerkannt. Die einstigen „Reaktorfahrer“ beharrten trotzig auf dem Namen „KFA“. Denn die Diversifikation hatte zum Namenswechsel von „Kernforschungsanlage“ in „Forschungszentrum“ geführt. Ab 1985 war darüber diskutiert worden. Im Aufsichtsrat wurde 1989 festgehalten, die Kerntechnik mache nur mehr 12 Prozent des Spektrums der KFA aus; der Name müsse dem veränderten Spektrum angepasst werden.
Unsere Einrichtung trug seit dem 09.02.1961 den Namen „Kernforschungsanlage Jülich des Landes Nordrhein-Westfalen e. V.“; seit dem 01.01.1990 heißt sie „Forschungszentrum Jülich GmbH“. 1961 war auch an „Kernforschungsanstalt“ gedacht worden. Die Geschäftsführung lehnte diesen Vorschlag ab: Welcher Wissenschaftler würde schon gerne in einer „Anstalt“ arbeiten?
Nicht allein in den „Medien“ ist noch immer häufig von der „KFA“ die Rede. Verf. dieser Zeilen erhielt kürzlich die Bitte einer hochrangigen technikhistorischen Forschergruppe, einen Vortrag „Die KFA von ihrer Gründung bis heute“ zu halten. Wenn der Verf. richtig gerechnet hat, wird Donnerstag, 22.11.2018, der erste Tag sein, an dem der Name „Forschungszentrum“ länger geführt wird als der Name „KFA“ (wenn er sich nicht verrechnet hat. Vorsicht!).
„Die KFA wird 62.“ Wird dies auch 2018 in Teilen der Medien zu lesen sein?
[1] Zu den heutigen Großgeräten siehe: Journal of large-scale research facilities – https://jlsrf.org/index.php/lsf
No Comments
Be the first to start a conversation