Tage der Offenen Tür werden von Industrie-Unternehmen, großen Behörden und Forschungseinrichtungen organisiert. Sie haben in der Regel vier Ziele: Transparenz, Information, Image, Medien-Echo, also öffentliche Aufmerksamkeit. Tage der Offenen Tür sollen auch Vorurteile abbauen („Tag der Offenen Moschee“) oder das Interesse an Kultur im weiteren Sinne wecken („Tag des Offenen Museums“). Das Ziel der Transparenz bedeutet natürlich nur in den seltensten Fällen, dass den Besuchern alles gezeigt wird.

Ein Sonderfall sind Tage der Offenen Tür von Kasernen, Gymnasien / Gesamtschulen oder Universitäten. Hier wird um Personen geworben: Der Sohn solle nach dem Rundgang sagen, er will auch Offizier werden; die Tochter, dass sie um jeden Preis das Joseph-Görres-Gymnasium / die Joseph-Beuys-Gesamtschule besuchen will; und ein Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaft an der Universität Groß Schwülper, das wäre doch auch eine feine Sache …

Solche Funktionen besaßen Tage der Offenen Tür im Forschungszentrum nicht. Um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter brauchte in der Regel nicht geworben zu werden, wenn wir von Spitzenforschern absehen.

Treiben wir die Differenzierung noch etwas weiter, so kann zwischen direkten „großen“ Tagen der Offenen Tür und indirekten „kleinen“ unterschieden werden.

Dies zeigt das folgende Beispiel: Am 13. August 1972 fand im Forschungszentrum zum vierzehnten Male ein Tag der Offenen Tür statt. 7.911 Besucher wurden gezählt. Aber in demselben Jahr wurden 7.510 Personen in Besuchergruppen durch das Zentrum geführt. Wegen des großen Interesses müssen sich bis heute die Gruppen rechtzeitig anmelden, sofern es sich nicht um namhafte Vertreter aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik oder Gewerkschaften handelte. Unter den Besuchergruppen waren und sind Schüler und Studenten stark vertreten, gefolgt von den unterschiedlichsten Vereinen, Vereinigungen und Abordnungen.

Aber eines ist es, Tausende von Besuchern auf ein Jahr zu verteilen, ein anderes, eine Veranstaltung zu organisieren, zu der Tausende an einem Tag erscheinen. Tage der Offenen Tür, die mit runden Jubiläen verbunden sind, 40 Jahre, 50 Jahre, 60 Jahre (2016), werden besonders minutiös vorbereit und haben Vorläufe bis zu drei Jahren.

Titelseite der „intern“ zum den Besuch von Helmut Kohl am Tag der offenen Tür 1996.

Am 01. September 1996, 40 Jahre Forschungszentrum, waren doppelt so viele Gäste gekommen wie am Tag der Offenen Tür zwei Jahre zuvor. Auch Bundeskanzler Kohl folgte der Einladung zum 40. Jubiläum und hielt einen Festvortrag. Er sprach über den notwendigen Dreiklang von Forschung, Technologie und Innovation, dieser sei  – zweiter Dreiklang –  Voraussetzung für Arbeitsplätze, Wachstum und Wohlstand, und um dies zu erreichen, müssten  – dritter Dreiklang –  Wissenschaft, Politik und Wirtschaft enger zusammenarbeiten.

Sehr erfolgreich auch der „Tag der Neugier“ am 05. Juni 2016 aus Anlass des 60. Jubiläums des Forschungszentrums. Aber das „Jülicher ABC“ ist in erster Linie ein historischer Blog. Betrachten wir also frühe Tage der Offenen Tür.

Vierzehn wurden zwischen 1961 und 1972 veranstaltet. Insgesamt erschienen 94.000 Besucher, im Durchschnitt also 6.700. Höchste Besucherzahl 9.100 am 16. Mai 1967, niedrigste am 16. Juni 1962. Aus welchem Grund an diesem Tag nur 978 Besucher gekommen waren, hat der Verf. nicht ermitteln können.

Zum ersten Jülicher Tag der Offenen Tür am 21. Oktober 1961 kamen 2.706 Besucher. Besichtigungszeit zwischen 09:00 bis 13:00. Es fanden nur Besichtigungen statt. Die Gruppen wurden von Institutsleitern und weiteren Fachleuten geführt. Ansonsten gab es keine Events. Die bis dahin errichteten Gebäude waren dafür ungeeignet, ebenso das Gelände mit den vielen Baustellen und ausgehobenen Gräben. Aus diesem Grunde waren Kinder unter vierzehn Jahren nicht zugelassen. Zum Vergleich: Die Hälfte der Besucher des Tages der Offenen Tür im Jahre 2001 waren Kinder.

Am 21. Oktober 1961 durften nur die vorgeschriebenen Wege begangen werden. An die Besucher wurden 1.800 Lagepläne verteilt.

Die Hauptinteressen galten dem Schwerwasserreaktor DIDO, der ein Jahr später kritisch werden sollte, sowie dem Strahlenschutz und weiteren Sicherheitsfragen. Schließlich hatte der schwere Reaktorunfall von Idaho Falls (USA) Anfang 1961 weltweit zur Beunruhigung geführt.

Über Sicherheitsfragen zu informieren, war das natürliche Interesse der damaligen Kernforschungsanlage Jülich (KFA). Es seien zwei weitere Interessen genannt:

  • Es häuften sich die Meldungen, dass die KFA zu teuer würde. Die Besichtigungsmöglichkeiten und die Erläuterungen sollten der Öffentlichkeit die Komplexität der Aufgaben vor Augen führen und damit auch deutlich machen, dass ein Atomforschungszentrum nicht billig zu haben sei.
  • Die KFA wurde im Jülicher Land aufgebaut. Dessen damalige Wirtschaftsstruktur war von Land- und speziell Zuckerrübenwirtschaft geprägt, von schwerer Arbeit mit schwieligen Händen, wogegen in der Anlage weißbemäntelte Wissenschaftler und Ingenieure dominierten, sozusagen Angehörige diskutierender Berufe . Damit prallten zwei Kategorien von „Arbeit“ aufeinander. In der Jülicher Bevölkerung herrschte der handkräftige Arbeitsbegriff vor. Daher war Immer wieder zu hören, in der KFA werde nicht gearbeitet („KFA“ = „Keiner fängt an“ / Frage: „Wie viele Menschen arbeiten in der KFA?“ Antwort: „Die Hälfte.“). So lag es denn im Interesse, der Öffentlichkeit deutlich zu machen, dass auch in der KFA gearbeitet werde.

Das Presse-Echo auf den ersten Tag der Offenen Tür war groß und durchweg positiv. Man ist erstaunt über die Vielzahl der damaligen Tageszeitungen: Aachener Nachrichten, Aachener Volkszeitung, Altenaer Kreisblatt, Dürener Nachrichten, Erkelenzer Nachrichten, Heinsberger Volkszeitung, Jülicher Nachrichten, Jülicher Volkszeitung, Lüdenscheider Nachrichten, Ruhr-Nachrichten, Solinger Tagblatt, Wuppertaler Generalanzeiger …

Blicken wir in die Unterlagen, die über die Organisation des ersten Tages der Offenen Tür erhalten geblieben sind, so wird deutlich, dass die Sorge der KFA nicht nur der Sicherheit auf dem Gelände galt. Eine andere Sorge soll nicht verschwiegen werden: Angst vor Spionage. Sie war berechtigt. Markus Wolf (1923 – 2006), Leiter des Auslandsnachrichtendienstes der DDR, beschreibt es in seinen Memoiren als pure Selbstverständlichkeit, dass die Kernforschungszentren Jülich und Karlsruhe ausspioniert wurden.

About Bernd Rusinek

Prof. Dr. Bernd-A. Rusinek leitet seit Anfang 2007 das Archiv des Forschungszentrums, zugleich lehrt er Neuere und Neueste Geschichte in Düsseldorf.

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