Wieso „Lehrlinge“ bzw. „Lehrlingsausbildung“? Heißt es nicht seit 1971 „Auszubildende“ oder auch „Azubi“? Man könnte sagen, das „A“ sei in diesem Blog bereits besetzt (siehe: „A“ wie „Algenforschung“). Ferner ist in den historischen Quellen für diesen kleinen Beitrag häufig von „Lehrlingen“ die Rede. Wo nicht oder nicht mehr, soll auch hier das Gerundivum „Auszubildende“ verwendet werden. Dem Sprachkritiker klingt ein solches Gerundivum  nicht gut in den Ohren. „Auszubildendenausbildung“ klingt auch nicht. Und markieren Wörter wie „Azubi“, „Ersti“, „Schiri“, „Studi“ oder auch „Uni“ nicht eine Infantilisierung der Sprache? Aber lassen wir diese Reminiszenzen an den großen Sprachkritiker Karl Kraus.

Berufsausbildung von Anfang an

Im Forschungszentrum hat es von Anfang an eine systematische Berufsausbildung gegeben. Damit wurde auf dasselbe Desiderat reagiert wie im Falle der „Reaktorfahrer“, bei denen es sich fast ausschließlich um Ingenieure gehandelt hatte: Es gab zu wenig Fachkräfte oder gar keine.

Der Jahresbericht 1960 führt elf Lehrlinge und Praktikanten bei einer Gesamtmitarbeiterzahl von 842 auf. Am 01. April 1961 wurden siebzehn Lehrlinge in fünf Berufen eingestellt. Diesem Einstieg in die systematische Berufsausbildung war eine Entscheidung des Wissenschaftlichen Rates von Anfang 1961 vorausgegangen: „Es wird für notwendig gehalten, in den verschiedenen Werkstätten Lehrlinge auszubilden; die Anzahl der Lehrlinge ist im Anfangsstadium zu klein.“ Weiter hieß es, man stelle sich die Facharbeiter-Ausbildung so vor, dass die Lehrlinge zuerst eine Grundausbildung erhielten, eine gewisse Zeit in den Instituten arbeiteten, dort die Spezialtechniken kennenlernten und zum Schluss zur Vorbereitung auf das Facharbeiterexamen in der Zentralwerkstatt zusammengefasst würden. Diese Form der Ausbildung habe den Vorteil, dass die Lehrlinge universell ausgebildet würden.

Das nahm sich in den Zeiten von „Lehrherr“ und „Stift“ sehr modern aus. Man kann in dieser modernisierten Ausbildungskonzeption eine Voraussetzung für die regelmäßig überdurchschnittlichen Prüfungsergebnisse der Jülicher Lehrlinge bzw. Azubis erkennen.

Insgesamt haben im Forschungszentrum bis 2010 an die 4.000 junge Menschen einen Beruf erlernt. 1961 waren es siebzehn Lehrlinge, 1991 waren es 292 Auszubildende. Die Ausbildungsquote, also der Prozentanteil an der gesamten Mitarbeiterschaft, lag 1965 bei fünf Prozent, 1980 bei acht Prozent (absolute Zahl = 325) und erreichte 1988 mit 10,2 Prozent den Höchststand. 2003 war man wieder bei acht Prozent  –  immer noch doppelt so hoch wie der Bundesdurchschnitt bei Betrieben mit mehr als 500 Mitarbeitern. Mit einer Ausbildungsquote von 8,1 Prozent wurden im Jahre 2006 vom Forschungszentrum 25 Prozent der HGF-Gesamtausbildungsleistung erfüllt. Im Jahre 2008 wurden eine künftige Ausbildungsquote von sieben Prozent und eine Reduktion der Ausbildungsberufe von 24 auf achtzehn beschlossen. 2010 lag die Quote bei 6,3 Prozent. Heute beschäftigt das Forschungszentrum bei insgesamt 5862 Mitarbeitern 330 Auszubildende.

Bestnoten und die „attraktive Susi“

Seit Mitte der 1960er Jahre liegen die Prüfungsnoten der Jülicher Lehrlinge regelmäßig über dem Gesamtdurchschnitt des Bereichs der Industrie- und Handelskammer Aachen. Gegenüber dem IHK-Durchschnitt erzielten die FZJ-Absolventen regelmäßig doppelt soviel „Sehr gut“-Ergebnisse. Spitzenjahrgang war 2004: Von 111 Prüflingen erzielten 42 die Note „gut“ und sieben „sehr gut“; sechs der Jülicher Absolventen wurden Landessieger in den einschlägigen Wettbewerben. Besonders gute Leistungen wurden von früh an in Feierstunden mit Buchprämien ausgezeichnet.

Hatte man 1961 in fünf Berufen ausgebildet, so waren es 2007 an die dreißig, seit 2008 schließlich 24. Zu nennen wären Bürofachkräfte, das klassische Handwerker-Spektrum, auch Gärtner, sodann etwa Physiklaboranten und Technische Zeichner, Mathematisch-Technische Assistenten („ATSE), Physik- oder Biologielaboranten.

Auf mehreren Berufsfeldern gab und gibt es spezifische Jülicher Merkmale und Verdienste. So wurde der Beruf des Physiklaboranten unter Einbeziehung  der Anforderungen des Forschungszentrums auf Bundesebene neu geordnet.

Die größte Gruppe der Auszubildenden sind heute die Mathematisch-Technischen Software-Entwickler (MATSE). Hervorgegangen aus der Ausbildung zum Mathematisch-Technischen Assistenten ist dieser Beruf heute verbunden  mit einem Bachelorstudiengang „Scientific Programming“ an der Fachhochschule Aachen. MATSE werden heute unter Federführung des JSC in fast allen Institutsbereichen ausgebildet.

„‘Gut‘ ist für den KFA-Nachwuchs die Durchschnittsnote“, lautete Überschrift eines Artikels in der Hauszeitschrift „intern“ aus dem Jahre 1972. Zitiert wurde darin die Auszubildende Susi: „‘Unsere Ausbildung ist schon Klasse‘, meint die attraktive Susi (…) Susi ist angehende Chemielaborantin  –  jetzt im dritten Lehrjahr.“ Die „attraktive Susi“ war hochzufrieden mit der Ausbildung in Jülich, „nicht so klasse“ fand sie dagegen die kurzen Pausenzeiten.

Attraktivität der Jülicher Berufsausbildung.

Wenn wir uns der Geschichte des Forschungszentrums nähern, können wir fragen, was der Standort Jülich für das FZJ bedeutet. Wir können auch andersherum fragen, was der Standort des FZJ für Jülich bedeutet.

Die Berufsausbildung im Forschungszentrum darf für die Wirtschaft der Nahregion nicht unterschätzt werden, auch wenn ein großer Teil der Absolventen lieber im Forschungszentrum bleiben möchte. Jülicher Absolventen sind in der Region begehrt, aber die Ausbildungsverhältnisse im Forschungszentrum wecken Begehrlichkeiten oder Eifersüchteleien. Unter anderem deshalb wurde 2008 in der Sprecherversammlung, Vertretung der Jülicher Mittelbauer, hervorgehoben, das Forschungszentrum sei in seinem Kerngeschäft ja keine überbetriebliche Ausbildungsstätte.

Der Vorbereitung auf den Markt außerhalb des Forschungszentrums diente 2003 die Gründung der Azubi-Firma („Firma in der Firma“) „United“. Auszubildende führen ein Kleinunternehmen, das Aufträge wie Daten-Erfassung, Büro-Arbeiten oder Auswerten von Umfragebögen akquiriert und innerbetrieblich verrechnet.

Das Forschungszentrum unterstützt mit der „Ausbildungsinitiative Naturwissenschaft und Technik“ heute auch kleinere und mittlere Unternehmen der Region in ihren Ausbildungsanstrengungen. Mit Verbundausbildungssystemen wird dafür gesorgt, dass diese Unternehmen im Forschungszentrum weniger einen Konkurrenten auf dem enger werdenden Ausbildungsmarkt besitzen als einen verlässlichen Partner. Die genannte Initiative sorgt so auch für hohe Qualität der Ausbildung in den Zulieferer-Unternehmen. Die Unternehmen profitieren von den Ausbildungskapazitäten des Zentrums: Grundqualifikationen eines Ausbildungsberufes, für die im eigenen Betrieb keine entsprechenden Einrichtungen vorhanden sind  – etwa Chemie, Physik, Metalltechnik –  können im Zentrum zusätzlich erworben werden und zahlen sich nach einiger Zeit für die Betriebe der nahen Region aus. Zudem werden Kurse zur Prüfungsvorbereitung angeboten.

Von der Berufsausbildung zur Fachhochschule

Viele Absolventen der wissenschaftsnahen Ausbildungsberufe streben eine akademische Weiterqualifizierung an. Schon die Susi aus den 1970er Jahren wollte Chemie-Lehrerin werden. Bereits 1972 begannen 75 Prozent der im Forschungszentrum ausgebildeten Chemielaboranten und Elektromechaniker nach dem Abschluss ein Studium an einer Fachhochschule. Nach 2000 wurde für die MATSE in Kooperation mit der RWTH und der FH Aachen der berufsbegleitende Studiengang „Technomathematik“ eingerichtet; 2004 entstand in Zusammenarbeit mit der Krefelder Fachhochschule Niederrhein das „Kooperative Ingenieursstudium Chemie“.  2009 begann eine entsprechende Kooperation mit der Hogeschool Zuyd im niederländischen Heerlen, um Jülicher Biologielaboranten zu einem Bachelor of Applied Science zu verhelfen.   –  für die Jülicher Ausbildung werden den Studierenden die Praxisinhalte als Semester angerechnet. Sie können daher in nur vier Semestern den Bachelor-Abschluss erwerben.

Zwischen den Entwicklungen der Berufsausbildung und des wissenschaftlichen Bereichs im Forschungszentrum sind eine Reihe paralleler Züge erkennbar: Heranziehen von Begabungen und Hochbegabungen, Optimierung der Bildungsstrukturen, Vernetzungen nach außen, Zusammenarbeit mit Universitäten und Fachhochschulen, Zusammenarbeit mit der Wirtschaft, internationale Zusammenarbeit  –  alles in allem: das Erzielen von Vernetzungsgewinn.

Schauen wir auf den aktuellen Stand der Dinge. Im Sommer 2016 schlossen 68,3 Prozent aller Auszubildenden des Forschungszentrums mit gutem bis sehr gutem Ergebnis ab. Von den 63 Absolventinnen und Absolventen wurden elf für ihre Leistungen von der IHK Aachen besonders geehrt; zwei Absolventinnen wurden zur jährlichen Landesbesten-Ehrung der IHK Nordrhein-Westfalen eingeladen. Im März 2017 wiederholten sich diese Erfolge. Zwölf Auszubildende konnten ihre Lehrzeit um ein halbes Jahr verkürzen. Seit 2012 gab es mehrere Bundesbeste aus dem Forschungszentrum.

Haben Mädchen keine Lust auf Mathematik und Naturwissenschaften?

Bei dem Jahresempfang des Vorstands am 30.01.2107 wurde die Auszubildende Frau Julia Valder für die herausragende Abschlussnote ihrer Ausbildung als MATSE und ihre Leistung als Bundesbeste besonders geehrt. Bei dieser Gelegenheit merkte der Vorstandsvorsitzende an, Frau Valders Bestnote und die sehr guten Benotungen anderer junger Frauen seien die passende Antwort  auf Mathias Binswangers „Zeit“-Artikel „Lasst die Mädchen doch mit Mathe in Ruhe“[1]: Mädchen hätten einfach weniger Lust auf Mathematik und naturwissenschaftliche Fächer. Freude an Naturwissenschaften und Technik lasse sich nicht künstlich herbeizüchten, entsprechende Kampagnen könne man sich sparen.[2]

Welchen Weg nahm die ehemalige Auszubildende Susi? Sie müsste heute um die sechzig sein. Vielleicht meldet sie sich einmal bei dem Verfasser. Er würde sich freuen.

Julia Valder mit dem Vorstand beim Jülicher Neujahrsempfang 2017 Bild: Forschungszentrum Jülich


Für die Unterstützung bei der Beschaffung wichtiger Informationen habe ich Frau Agnes Custodis und Herrn Jens Jäger zu danken und besonders Herrn Ulrich Ivens.

[1] Martin Binswanger: „Pisa-Studie: Lasst die Mädchen doch mit Mathe in Ruhe. Die Pisa-Ergebnisse zeigen: Die Versuche, Schülerinnen für Algebra und Naturwissenschaften zu begeistern, bringen nichts“, in: Die Zeit Nr. 5, 26.01.2017.

[2] Literaturtipp: Lesenswerter als Binswangers „Zeit“-Artikel ist dessen Buch „Sinnlose Wettbewerbe. Warum wir immer mehr Unsinn produzieren“, Freiburg 2010  –  anregend und zugleich eine Provokation für Universitäts- und Wissenschaftsmanager, Forscher und Bibliometriker.

About Bernd Rusinek

Prof. Dr. Bernd-A. Rusinek leitet seit Anfang 2007 das Archiv des Forschungszentrums, zugleich lehrt er Neuere und Neueste Geschichte in Düsseldorf.

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