In memoriam Peter Grünberg (1939 – 2018), Physiknobelpreis 2007
I.
Der Nobelpreis ist die bedeutendste Auszeichnung für Wissenschaftler überhaupt. Wer ihn erhält, den umgibt eine Gloriole der Unsterblichkeit. Solange Zivilisation besteht, wird das Werk bekannt bleiben.
Der Nobelpreis wurde, was besonders hervorzuheben ist, von Anfang an international vergeben. Den Preis hat – für die Leser keine Neuigkeit – der Erfinder des Dynamits 1895 gestiftet. Grundstock für die Dotierung der Preise sind bis heute die Zinserträge aus Alfred Nobels vermachtem Riesenvermögen. Verglichen mit Deutschland hat es in Schweden keine nennenswerte Inflation gegeben.
Nobelpreise wurden erstmals 1901 verliehen, und zwar nach dem Willen des Stifters auf den Gebieten Physik, Chemie, Physiologie / Medizin, Literatur und Frieden. Auffällig ist das Fehlen der Mathematik. Über die Gründe gibt es Anekdoten, die aber nicht berichtet werden sollen. Auch an Nobelpreise für Philosophie oder Geschichtswissenschaften war nicht gedacht worden, so dass etwa Theodor Mommsen (1902) und Bertrand Russell (1950) den Nobelpreis für Literatur erhielten.
1969 kam auf Initiative der schwedischen Reichsbank der Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften hinzu, der aber strictu sensu kein Nobelpreis ist. Der genaue Titel lautet: „Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften“.
Der erste Deutsche, der den Physiknobelpreis erhielt, war Wilhelm Conrad Röntgen (1901). Es war der erste Physik-Nobelpreis überhaupt. Röntgen war zu sehr Gelehrter in der Tradition des 19. Jahrhunderts, als dass er sich seine Entdeckung patentieren ließ.
Für den theoretischen Nachweis des nach ihm benannten Bosons erhielt der Brite Peter Higgs 2013 den Physiknobelpreis. Analysieren wir die Berichterstattung in der Laienpresse, so fallen uns häufig wiederkehrende Versatzstücke einer Meistererzählung über Nobelpreise und große naturwissenschaftlich-technische Leistungen auf. Bleiben wir bei Higgs und nehmen einen Bericht der Düsseldorfer „Rheinischen Post“. In chemischer Reinheit wird ein trivialmythisches Wissenschaftler-Epos präsentiert: Der zunächst verkannte hochbegabte Sonderling, der vor fünfzig Jahren ein neues Geschöpf im Teilchenzoo voraussagte, dessen bahnbrechender Aufsatz aber von einer renommierten Zeitschrift abgelehnt wurde. Dann aber nahm sich ein „Physik-Theoretiker der US-Elite-Universität Princeton“ (natürlich!) der Theorie an, verhalf ihr zum Durchbruch und dem Entdecker Higgs zum Nobelpreis. Auch der Begriff „Gottesteilchen“ fehlt in dem Bericht nicht. Fehlte nur, dass er in problematischen sozialen Verhältnissen aufgewachsen wäre und die Mutter im Gospel-Chor sang. Gern kolportiert werden auch Geschichten nach dem Muster „Newton und der Apfelbaum“. Ein äußerer Anlass, ein plötzlicher Gedanke, und schon war der Grund gelegt für die Aufstellung des Gravitationsgesetzes
Wir sagen nicht, dass all dies auf Erfindungen beruht, aber solche Geschichten werden gern gehört und die Fakten entsprechend zugespitzt. Hätten wir mehr Raum, könnte hier die Mythen-Theorie des französischen Semiologen Roland Barthes vorgestellt werden.
In aller Regel sind Nobelpreisträger keine „Franktireurs der Wissenschaft“ (Theodor Fontane), sondern solide, systematische, unermüdliche und intrinsisch gesteuerte Arbeiter in ihrem Weinberg. Die Biographien von Wilhelm Conrad Röntgen und Peter Grünberg beweisen es. Beide übrigens verzichteten auf charismatische Attitüden.
II.
Wie haben wir uns den Ablauf einer Nobelpreisverleihung vorzustellen? Wählen wir die Veranstaltung von 1986. Verliehen wurden die Nobelpreise für Physik, Chemie, Medizin, Literatur, Wirtschaft. Einer der Laureaten war Ernst Ruska (1906 – 1988), Pionier der Elektronenmikroskopie. Zu seinem Andenken erhielt das Jülicher Institut für Hochleistungselektronenmikroskopie, gegründet 2004, den Namen Ernst Ruska Centrum (ER-C).
Beginn der Festveranstaltung: 16:00
- Musik („Gratulationsmenuett“ von Beethoven)
- Die Laureaten nehmen ihre Plätze auf der Bühne ein
- Ansprache des Vorsitzenden der Nobelpreis-Stiftung
- Wieder Musik
- Verleihung der Preise für Physik
- Verleihung der Preise für Chemie
- Verleihung der Preise für Medizin
- Noch einmal Musik
- Verleihung des Preises für Literatur
- Abermals Musik
- Verleihung des Preises für Wirtschaftswissenschaft
- Dann Musik (Schwedische Nationalhymne „Du gamla, Du fria“)
- Musik (Finale)
Fräcke sind ausleihbar.
Der Friedensnobelpreis wird in der Regel einen Tag später verliehen. 1986 erhielt ihn Elie Wiesel.
III.
Die Entscheidungsunterlagen der Nobelpreis-Komitees sind außerordentlich schwer zugänglich. So bleibt z. B. im Dunkeln, warum Elfriede Jelinek den Literaturnobelpreis erhielt (2004), Philipp Roth aber stets leer ausging[1], warum z. B. Otto Hahn den Nobelpreis bekam (1944 – überreicht im November 1945), Lise Meitner aber nicht, warum allein Otto Stern (1943) ausgezeichnet wurde und nicht auch Walther Gerlach.
Je hermetischer die Klausur, desto mehr Gerüchte. Peter Grünberg erhielt den Nobelpreis 2007, aber bereits Jahre zuvor hatte sich die Auszeichnung mehr und mehr angedeutet. Solche Annahmen werden – natürlich neben der fachlichen Leistung! – dadurch bestärkt, dass die entsprechende Person bereits viele angesehene Wissenschaftspreise erhalten hatte. Dies war bei Grünberg der Fall.
Einige seiner großen Preise: Stern-Gerlach-Medaille der DPG, Ardenne-Preis, Japan-Preis, Wolf-Preis und Deutscher Zukunftspreis des Bundespräsidenten. Letztere Auszeichnung, so hieß es im Vorstandsbericht für die 61. Aufsichtsratssitzung, Juni 1998, kam nicht als völlige Überraschung. Der Zukunftspreis ist so bedeutend, dass Bundespräsident Roman Herzog persönlich Grünberg im Jülicher IFF besuchte. In dem genannten Vorstandsbericht wurde ausgeführt, dass der Zukunftspreis „für alle Mitarbeiter des Forschungszentrums zweifellos das Highlight des Jahres“ sei.
IV.
Viele von ihnen waren hier.
Der Reigen beginnt mit Sir John Douglas Cockcroft (1897 – 1967), Physiker, Rutherford-Schüler. Er hatte 1951 gemeinsam mit Ernest Thomas Walton (1903 – 1995) den Nobelpreis für Physik erhalten. Beide “for their pioneer work on the transmutation of atomic nuclei by artificially accelerated atomic particles”. Neben Leo Brandt kann Cockcroft zu den Vätern der Kernforschungszentrums gerechnet werden. Beide waren im Kriege Radarpioniere gewesen und hatten sich nach dem Kriege angefreundet.
Cockcroft war Chef des britischen Atomforschungszentrums Harwell, als er 1955 vor der Arbeitsgemeinschaft für Forschung (heute Rheinisch-Westfälische Akademie der Wissenschaften) referierte. Thema: „Die friedliche Anwendung der Atomenergie“. Cockcroft fädelte den Ankauf der beiden britischen Reaktoren für die künftige Kernforschungsanlage ein: Der Primärteil des Reaktors MERLIN wurde aus Großbritannien geliefert, für die Errichtung des DIDO wurden die Planungsunterlagen erworben.
Bei der feierlichen Eröffnung der Kernforschungsanlage 1961 war der Nobelpreisträger Otto Hahn zugegen. Ein anderer Mann des Anfangs war Wolfgang Paul Ehrenmitglied der damaligen KFA. Paul war Leiter der Arbeitsgruppe Hochenergiephysik gewesen, wurde 1960 zum Vorsitzenden des Vorstands gewählt und war bis 1964 Vorsitzender des Wissenschaftlichen Rates. Das von ihm entworfene 500 MeV Elektronen-Synchrotron wurde an der Universität Bonn aufgebaut. 1968 verließ Wolfgang Paul mit seiner Arbeitsgruppe nach zehnjähriger Zugehörigkeit die KFA. Die Gruppe wurde in Gänze von der Universität Bonn übernommen. 1989 erhielt Wolfgang Paul den Nobelpreis für Physik für die Entwicklung der Ionenfallentechnik, die so genannte „Paul-Falle“.[2]
Wer wollte sie sämtlich aufzählen? 1972 besichtigen die beiden Nobelpreisträger Max Delbrück (Medizin, 1969) und Gerhard Herzberg (Chemie, 1971) das Forschungszentrum. In Jülich referierten, als Tagungsteilnehmer oder Einzelgäste Rudolf Mößbauer (Physik, 1961), Manfred Eigen (Chemie, 1967), Kai Siegbahn (Physik, 1981), William Fowler (Physik, 1983), Carlo Rubbia (Physik, 1984). Bei der Gründungsveranstaltung von JARA-FAME[3] im Januar 2013 stellte Samuel Chao Chung Ting (Physik, 1976) das Alpha-Magnet-Spektrometer vor, das auf der Internationalen Raumstation ISS experimentell zum Einsatz kam.
Beenden wir unsere Tour mit einem Blick auf das 25jährige Jubiläum des Zentrums. Bei der Feier am 10.12.1981 referierten Manfred Eigen (Chemie, 1967) über „Molekulare Selbstorganisation. Ursprung des Lebens“ und Rudolf Mößbauer (Physik, 1961) über „Neutrino-Ruhemassen“.
Mößbauer hatte den Nobelpreis im Alter von 32 Jahren erhalten. Er sah blendend aus, ein wenig an den Schauspieler Horst Buchholz erinnernd, und war der Vorzeige-Physiker in der jungen Bundesrepublik.
Karl Peters hat Mößbauer während des Jülicher Vortrags fotografiert – der Physik-Nobelpreisträger als Charismatiker.[4] Peters zählte diese Aufnahme zu seinen besten Arbeiten.
Literatur:
Burmester, Ralph, Die vier Leben einer Maschine. Das 500 MeV Elektronen-Synchrotron der Universität Bonn, Göttingen 2010 (Deutsches Museum. Abhandlungen und Berichte, Neue Folge, Bd. 26) – ZB: S 000 586 – NF – 0026 „01“
Peters, Karl, Von Forschern und Menschen. Eine fotografische Retrospektive nach 28 Jahren im Forschungszentrum, Jülich 1995, ZB: AFG 038
Nobelpreise – Analysen und Materialien:
Les Prix Nobel. Nobel Prizes, Presentations, Biographies and Lectures, hg. v. d. Nobel Foundation, Stockholm 1987 ff. (engl. u. frz.), 22 Bde. (dort, Bd. 22, S. 82 ff.: Peter A. Grünberg, From Spinwaves to Giant Magnetoresistance <GMR> and Beyond)
Alle Bde. in ZB: A LA 1-1986 bis A LA 1-2007
Nobel Foundation (edit.), Nobel Lectures Including Presentation Speeches and Laureates’ Biographies. Physics, Chemistry, Physiology Medicine, Literature, Peace, Amsterdam, London, New York 1967 ff. (11 Bde.):
Physics (1901 – 1962) – ZB: A LA 29-1 bis A LA 29-3
Chemistry (1901 – 1970) – ZB: A LA 30-1 bis A LA 30-4
Physiology or Medicine (1901 – 1970) – ZB: A LA 40-1 bis A LA 40-4
Turner, Nikolaus, edit., Nobel Laureates photographed by Peter Bedge. Epilog Wim Wenders, Weinheim 2008 (dort Porträt und CV Peter Grünbergs: S. 214 f.), ZB: A LD 40
[1] Geschrieben am 22.05.2018, als die Zeitungen den Tod dieses Autors meldeten.
[2] Zu Wolfgang Paul: Burmester, Ralph, Die vier Leben einer Maschine. Das 500 MeV Elektronen-Synchrotron der Universität Bonn, Göttingen 2010 (Deutsches Museum. Abhandlungen und Berichte, Neue Folge, Bd. 26)
[3] JARA = Jülich Aachen Research Alliance. FAME = Forces and Matter Experiments“.
[4] Aus: Peters, Karl, Von Forschern und Menschen. Eine fotografische Retrospektive nach 28 Jahren im Forschungszentrum, Jülich 1995, S. 26 f..
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