Weltweit, auch in vielen deutschen Städten, werden am 22. April Forscherinnen und Forscher auf die Straße gehen, um darauf aufmerksam zu machen, dass Wissenschaft zur Substanz unserer Demokratie und unserer Gesellschaft gehört. Sie wollen dafür sensibilisieren, dass Wissenschaft ungehinderten internationalen Austausch braucht. Und dass Wissen nur im rationalen und faktenbestimmten Diskurs entstehen kann.

Anlässlich der Aktion hat Prof. Wolfgang Marquardt, Vorstandsvorsitzender des Forschungszentrums Jülich, nachfolgenden Blogartikel verfasst.

Prof. Wolfgang Marquardt, Vorstandsvorsitzender des Forschungszentrums Jülich

 

Von Wolfgang Marquardt

Wissenschaft ist die Grundlage für die Entwicklung und das Wohlergehen unserer Gesellschaft. Das muss sie jeden Tag klarmachen. Manchmal auch mit besonderen Aktionen – wie dem March for Science am 22. April.

Der Diskurs, der sich derzeit in den USA beobachten lässt, ist dafür nur der Anlass. Tiefgreifender ist, dass sich unsere Kommunikationskultur rasant verändert. Sie wird – getrieben von der digitalen Revolution – immer schnelllebiger und oberflächlicher. Nie war es einfacher, mit abstrusen, aber dafür verblüffend eingängigen Thesen (und nicht selten Verschwörungstheorien) Menschen zu erreichen. Nie war es einfacher, für Falschmeldungen und verdrehte Tatsachen eine kritische und hörbare Masse an Followern, Mitstreitern und Weggefährten zu organisieren. Doch hier sind keine Wissenschaftler am Werke, keine Wahrheitsfinder. Ihre Strategie ist es, der Wissenschaft die Deutungshoheit über gesellschaftlich und vor allem auch ökonomisch relevante Fragestellungen abzusprechen. Klimawandel, Umwelt- und Gesundheitsfragen sind da nur die öffentlich sichtbar gewordene Spitze des Eisbergs. Wissenschaftler und Forscher sollen als Teil des sogenannten „Establishments“ etikettiert und durch die Zugehörigkeit zu dieser vermeintlich abgehobenen und realitätsfernen Gruppe diskreditiert werden.

Auch wenn diese Beobachtungen noch kein weltweites Phänomen sind, so fällt doch auf: Die Wissenschaft hat es zunehmend schwerer, Gehör zu finden. Komplexe Zusammenhänge erklären, Hintergründe erläutern, die eigene Arbeit in den gesellschaftlichen Kontext einbetten, in wissenschaftlichen Kontroversen fair und sachlich argumentieren – das geht leider schlecht in 140 Zeichen. Sich mit Wissenschaft zu beschäftigen, erfordert Zeit, Umsicht und Reflexion.

Doch die Gesellschaft braucht eine streitfreudige und kommunikationsstarke Wissenschaft. Und diese wird auch gewünscht und verlangt. So fand das Wissenschaftsbarometer im Mai 2016 heraus, dass 41 Prozent der Befragten ein eher großes oder sehr großes Interesse an wissenschaftlichen Themen haben. Eine Steigerung von acht Prozentpunkten im Vergleich zum Wert des Jahres 2014. Zudem widersprechen insgesamt 70 Prozent der Befragten der Behauptung, dass die Wissenschaft mehr schadet als nützt; ein Fünftel der Befragten erwartet vor allem einen positiven Einfluss von Wissenschaft und Forschung auf das Leben zukünftiger Generationen (vgl. Wissenschaft im Dialog/TNS Emnid: Wissenschaftsbarometer 2016). Wenn Wissenschaft trotz dieses klar erkennbaren gesellschaftlichen Interesses an ihren Themen oftmals kein Gehör findet, muss sie sich mit der Frage auseinandersetzen: Warum?

Lamentieren und Wehklagen helfen nicht weiter. Die Wissenschaft hat einen klaren Auftrag: als Anwalt der Ratio, des Arguments und des Unterschieds von Meinung und Fakten. Wenn es nötig ist, dann muss Wissenschaft eben mehr erklären, auch besser zuhören und größere Anstrengungen unternehmen, ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht zu werden. Selbst wenn dieser Prozess unangenehm und mühevoll sein sollte. Wissenschaft und Forschung arbeiten im Auftrag der Gesellschaft. Das bedeutet aber nicht, dass ihre Arbeit allein dadurch bereits gerechtfertigt wäre. Dies zeigt auch eine aktuelle Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach vom Februar 2017: Darin wird festgestellt, dass es ein latentes Misstrauen in der Bevölkerung gegenüber den sog. „Experten“ (und das sind ja in der Regel Wissenschaftler) gibt: 61 Prozent der Deutschen bestätigen hier die These, dass Experten ihrer Meinung nach weder unabhängig, noch verlässlich urteilen (vgl. IfD-Allensbach/FAZ 2017). Wenn in wachsenden Teilen der Gesellschaft wissenschaftliche Ergebnisse in Frage gestellt werden, kann die Antwort daher nicht einfach lauten: „Ihr habt es nur nicht verstanden.“ Nein, Wissenschaft muss in den Dialog gehen, ihn zumindest aktiv anbieten.

Das Forschungszentrum versucht, diesen Weg des Dialogs und des Austauschs mit der Gesellschaft aktiv zu gestalten: Im Jülicher Nachbarschaftsdialog diskutieren seit Mitte 2015 lokale Akteure aus Wissenschaft, Wirtschaft, Kirche, Vereinen, Handwerk und Schulen u. a. über wissenschaftliche Entwicklungen, Transparenz bei Experimenten und Forschungsvorhaben und Bedenken seitens der verschiedensten Akteure bei sensiblen Themen. Durch diesen Austausch entsteht vor allem eines: Vertrauen und Akzeptanz. Denn nur wenn Sorgen und Bedenken aus der Gesellschaft ernst genommen werden und aktiv in die Forschung und damit verbundene Kommunikation eingebaut werden, kann sich die Wissenschaft auf Basis eines gesunden Vertrauensverhältnisses in der Gesellschaft gewinnbringend positionieren. Was im Lokalen bereits begonnen wurde, muss auch auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene durchdacht werden.

Unabdingbar ist es, in diesem Dialog auch die Grenzen von Wissenschaft offen anzusprechen. Ein permanentes Strukturmerkmal dieser ist die Unsicherheit. Zu dieser müssen wir gemeinsam stehen. Wir müssen klar sagen: Zu forschen heißt, sich von vorläufiger Wahrheit zu vorläufiger Wahrheit voranzutasten. Wir wissen viel, aber wir wissen nie alles. Das zuzugeben, ist keine Schwäche, im Gegenteil, es ist eine Stärke und dient damit unserer Glaubwürdigkeit. Über wissenschaftliche Ergebnisse muss man vor allem eines: diskutieren. Die Kontrollmechanismen der Wissenschaft sind ein hohes und unverzichtbares Gut. Redliche Wissenschaft steht für Validität und Reliabilität. Wissenschaftliche Ergebnisse wertfrei und transparent zu transportieren ist nicht weniger als eine unabdingbare Vorarbeit für die gesellschaftlichen und demokratisch legitimierten Instanzen, die entscheiden, wie mit diesen Resultaten umzugehen ist. Dem kommunikationsstarken, wissenschaftlichen Diskurs muss sich also ein politischer Diskurs anschließen. Nicht selten geht das Hand in Hand. Während die Wissenschaft aber Wissen und Daten generiert, können Entscheidungsträger auf diesen ihre Entscheidungen vorbereiten und treffen. In aller Deutlichkeit: Diese Entscheidungen zu treffen, ist nicht Aufgabe der Wissenschaft. Sie mit all ihren Möglichkeiten ergebnisoffen vorzubereiten, hingegen schon.

Die Wissenschaft braucht die Gesellschaft, und die Gesellschaft braucht die Wissenschaft. Um dieses unsichtbare Band wieder zu stabilisieren, um sich zu dieser Überzeugung öffentlich zu bekennen und sich als Wissenschaft mit starker Stimme zu präsentieren, dafür ist der „Marsch der Wissenschaft“ eine hervorragende Plattform.

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