Sie sah aus wie ein Lounge-Sofa in einem 5-Sterne-Hotel an der Königsallee und wurde tatsächlich als teuerste Sitzbank der Welt bezeichnet. Sie kostete 15 Millionen DM, das Zentrum mietete sie über eine Leasingfirma an.

Die Rede ist von dem 1984 in Betrieb genommenen Großrechner bzw. „Größtrechner“ Cray X-MP 22, seinerzeit schnellster Computer der Welt. Das Photo zeigt einen Techniker mit damals moderner Jimi-Hendrix-Frisur, der an der Maschine schraubt. Die Aufnahme zählt zu den Ikonen der Geschichte des Zentrums.

Techniker, der an der Cray schraubt.

Techniker, der an Cray schraubt. Quelle: Forschungszentrum Jülich

 

Die X-MP 22 war der erste Jülicher Höchstleistungsrechner. In einer internen Besprechung erklärte der damalige Vorstandsvorsitzende Wolf Häfele, es handele sich nicht einfach um einen noch größeren Rechner, sondern um den Anfang einer neuen Dimension des Computing.

Neue Dimension des Computing

1982 stand der damaligen KFA als Großrechenanlage eine Konfiguration aus IBM 3033 U, IBM 3033 N und IBM 370-168-3 zur Verfügung. Ergänzt wurde das Leistungsspektrum durch den Vektorrechner FPS AP-190. Die Cray X-MP 22 würde hinzukommen und die KFA Jülich mit dieser Kombination über das leistungsstärkste Rechenzentrum für wissenschaftlich-technische Forschung in Europa verfügen. Und so geschah es auch, wenngleich das Forschungszentrum in der ersten Hälfte der 1980er Jahre einer der dramatischsten Kürzungsaktionen seiner Geschichte ausgesetzt war.

Mit den Vorbereitungen für die Installation der Cray X-MP 22 wurde 1982 begonnen. Zum 01.01.1984 wurde sie in Betrieb genommen. Damit begann die Höchstleistungsrechner-Zeit in Jülich. Das Zukunftsprojekt „Computational Science“ hatte bis dahin mangels ausreichender Rechenkapazität nicht angegangen werden können.

Im November 1984 betrug die Ausnutzung der Cray siebzig Prozent. Mitte 1985 fuhr der Computer unter Volllast und war zu diesem Zeitpunkt mit Rechnern innerhalb und außerhalb des Zentrums vernetzt, so etwa im Rahmen des Rechennetzes EARN in Zusammenarbeit mit sieben Ländern.

Blicken wir auf die Zusammenhangsgeschichte des Forschungszentrums, so lässt sich der Ankauf der Cray X-MP 22 im Schnittpunkt dreier Linien verorten:

  • Das ZAM emanzipierte sich von seiner dienenden Funktion für die F+E-Bereiche des Zentrums und betrieb nun Computational Science; zwei Jahre nach Betriebsbeginn der X-MP 22 stimmte der Aufsichtsrat der Einrichtung eines Höchstleistungsrechenzentrums zu.
  • Im Rahmen der Neuausrichtung der Anlage, „Profil ‘85“, bildete der Einsatz der Maschine einen wichtigen Markstein. Als Haupteinsatzgebiete wurden u. a. Plasmaphysik, Kernphysik, Sicherheitsforschung und Systemanalyse, atmosphärische Chemie, angewandte Geochemie und Umweltforschung genannt.
  • Die Cray X-MP 22 wurde als eine Art Joker ins Spiel gebracht, um die Spallationsneutronenquelle (SNQ) nach Jülich zu bekommen, einem „Groß-Großgerät“ (Achim Bachem), dessen Baukosten auf 1,4 Mrd. DM geschätzt wurden. Mehrere deutsche Forschungszentren konkurrierten um den Standort. Das „Projekt SNQ“ wurde 1982 in Jülich etabliert und von dem Jülicher Neutronenforschungsexperten Hans Heinrich Stiller geleitet. Die Cray X-MP 22 sollte „dem Projekt Spallationsneutronenquelle ein neues Instrument liefern“. 1985 fiel die negative Entscheidung. Im Archiv des Forschungszentrums befindet sich Stillers Manuskript „SNQ: Chronik eines gescheiterten Projekts 1982 – 1985“. Eine einmalige Quelle! Nur leider darf diese bitterböse Abrechnung mit Vorstand, Kollegen und „Politik“ aus Datenschutzgründen nicht zugänglich gemacht werden …

Die Cray X-MP 22 selbst war als Höchstleistungsrechner Ausgangspunkt von mindestens drei F+E-Bereichen, die für das heutige Forschungszentrum von allergrößter Bedeutung sind: Rechnerverbünde auf interner, nationaler sowie internationaler Ebene, Supercomputing, Simulation.

Wie groß war nun der Großrechner Cray X-MP 22?[1]

Hauptspeicher der X-MP 22 = 16 MB. Ein heutiger handelsüblicher PC, wie man ihn bei ALDI kaufen kann = 8.000 MB; der 2012 in Betrieb genommene Mega-Computer JUQUEEN = 448.000.000 MB.

Leistung der X-MP 22 in Gigaflops = 0,32. Heutiger handelsüblicher PC = 50 – 80 Gigaflops; JUQUEEN = 5.900.000 Gigaflops.

Die Leistung von JUQUEEN ist ca. 18 Millionen Mal höher als die der Cray X-MP 22 und entspricht in etwa der von 60.000 handelsüblichen PCs. Der PC-Tower im Büro eines ZB-Kollegen hat eine Höhe von etwa 42 cm. Würden wir 60.000 Stück aufeinanderstellen, wäre der Stapel rd. 25 km hoch.

Die Computer-Technologie entwickelte sich in etwas mehr als dreißig Jahren in technikhistorisch einmaliger Rasanz, und Jülich war an dieser Entwicklung aktiv beteiligt.


[1] Für die folgenden Einzelheiten habe ich Frau Dr. Höfler-Thierfeldt (JSC) zu danken.

About Bernd Rusinek

Prof. Dr. Bernd-A. Rusinek leitet seit Anfang 2007 das Archiv des Forschungszentrums, zugleich lehrt er Neuere und Neueste Geschichte in Düsseldorf.

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  1. „G“ wie „Giant Magnetoresistance“ (GMR) / „Riesenmagnetowiderstand“

    […] [4] Siehe Artikel „C“ des Jülicher Alphabetes. […]